Bist du – nicht zuletzt durch deine Professur an der Kunsthochschule für Medien in Köln – in die Fragestellungen rund um das Fotoinstitut involviert worden?
Ja, ich wurde von Isabel Pfeiffer-Poensgen1 zu einem Expert*innentreffen eingeladen. Da waren die Fotografieprofessor*innen und Museumsdirektor*innen aus Nordrhein-Westfalen und Andreas Gursky, der die Idee zu einem Institut ja initiiert hatte und in der Vergangenheit in dieser Hinsicht bereits aktiv war.2 Das Treffen hatte den Zweck, die Sicht der Produzent*innen zu beleuchten und die Gedanken der Museumleute zu hören.
Wann war das?
Das war im September 2019.
Die Konzeptionen des Instituts für Fotografie3 sind uns Anlass, das Gespräch mit Fotograf*innen und Künstler*innen zu suchen und nach Haltungen zu den unterschiedlichen Vorhaben zu fragen. Zugleich ist – sicher nicht nur für uns – interessant, wie sich die jeweils eigene Arbeitspraxis gestaltet und die daraus hervorgehenden Formen der Archivierung. Wir stellen uns vor, dass sie von Fotografin zu Fotograf jeweils sehr verschieden sind und es lohnend ist, darüber zu sprechen. So erhoffen wir uns ein differenzierteres Bild.
Die unterschiedlichen Initiativen, ein Bundesinstitut für Fotografie anzuregen, halte ich für sehr begrüßenswert. Darin liegt eine große Chance, Ressourcen zu bündeln, die künstlerische Fotografie in Deutschland zu stärken und die Errungenschaften der letzten 170 Jahre dauerhaft zu erhalten. Auch als eine über Fotografie forschende und lehrende Person kann ich die Initiative nur begrüßen, das Institut würde meine Hochschultätigkeit maßgeblich bereichern. In Deutschland werden ja schnell Initiativen zerredet, dem möchte ich mich nicht anschließen. Wichtiger finde ich, die Struktur und Konzeption eines Bundesinstitutes zu besprechen. Mir geht es um eine zeitgemäße Konstruktion dieses Projektes.
Welche Konzeption des Bundesinstituts stellst du dir vor?
Zunächst wäre die Gatekeeper-Frage zu klären. Wer wählt aus, welche Bestände aufgenommen werden? Denkbar wäre, dass alle Fotokurator*innen der deutschen Museen Vorschläge machen dürfen, welche Arbeiten bzw. Vor- und Nachlässe in das Bundesinstitut eingehen sollten, dies würde einen vielfältigen und differenzierten Blick gewährleisten. Außerdem würde ich mir wünschen, dass es die Möglichkeit einer Selbstbewerbung gibt, um nichtetablierten Werken Raum zu geben, und damit ungewöhnliche Entdeckungen möglich sind. Entscheiden müsste dann eine divers zusammengesetzte Jury. Zur Größe des Institutes gibt es ja sehr unterschiedliche Vorstellungen: In der Machbarkeitsstudie der Bundesregierung vom März dieses Jahres4 wird von 30 Positionen gesprochen, davon zehn Konvolute mit großformatigen Prints, dies wäre ja gerade die Becher-Schule und dann müsste schon wegen der Parität der Rest mit ostdeutschen Fotografinnen aufgefüllt werden … [lacht] Wenn man die räumlichen und finanziellen Ressourcen durch diese Anzahl teilt, hieße das, dass aus der mit 125 Millionen veranschlagten Bausumme für jeden Nachlass ca. 4 Millionen Euro investiert werden würden und 120 m² Archivfläche zu Verfügung stünden. Ich wäre für eine deutlich größere Anzahl von künstlerischen Positionen, um ein umfassendes Bild der „deutschen“ Fotografie zu bekommen, ich denke eher an 300 Konvolute. Wir haben so viele tolle Positionen in diesem Land!
Zu klären wäre auch, ob Archive aus dem angewandten Bereich Einlass finden sollen. Für die Reflexion des Mediums halte ich dies für wichtig. Dies würde auch eher für ein Fotoinstitut mit mehreren hundert Nachlässen und Archiven sprechen.
Stichwort „deutsch“: Wenn man das Konzept zum Fotoinstitut anschaut, das die Gruppe rund um Thomas Weski erarbeitet hat, dann kann man dort nachlesen, dass Internationalität angestrebt ist. Voraussetzung für die Aufnahme eines Vor- oder Nachlasses ist ein Lebensmittelpunkt von mindestens fünf Jahren in Deutschland.
Das finde ich eine sinnvolle Regelung. Mir gefällt auch der neue Name des Institutes besser: Bundesinstitut für Fotografie suggeriert nichts Nationales mehr, sondern ist allein eine strukturelle Bezeichnung für einen Zusammenschluss. Viele Museen betreuen schon jetzt umfangreiche Nachlässe und fotografische Archive. Vielleicht könnte das Bundesinstitut für Fotografie eher als eine Plattform konzipiert werden, welche all diese Bestände sichtbar macht. Dies hieße, dass neben der eigenen Bewahrung von Nachlässen eine große englischsprachige Datenbank angelegt werden müsste, über die alle fotografischen Archive der Museen abrufbar sind. Das würde den Standort Deutschland in Bezug auf die Fotografie extrem fördern. Recherchen für Ausstellungen und Leihanfragen würden vereinfacht. Denn es ist ja so: Es wird das erforscht und ausgestellt, was zugänglich ist. Den Leihverkehr für die „externen“ Arbeiten könnten die Museen dann selbst abwickeln. Das Fotoinstitut hätte bei diesem Konzept trotzdem eigene physische Nachlässe. Man darf sich ja nichts vormachen: Ein Nachlass eines*r erfolgreichen Fotograf*in ist ja nie vollständig. Die besten Werke sind verkauft und befinden sich verstreut in vielen Museen. Ich kenne nur wenige Kolleg*innen, die wegen der Vollständigkeit des Werkes einen Artist Print zurückgehalten haben, wenn ein sehr gutes Museum ankaufen wollte. Vollständigkeit eines Werkes entsteht in so einem Fall nur virtuell, durch eine gute Datenbank, die zeigt, wo die Werke sind.
An dem Konzept von Thomas Weski und seiner Gruppe ist gut, dass hinten ein Verzeichnis mit allen Museen und Institutionen in Deutschland angeführt ist, die bereits Nachlässe von Fotograf*innen betreuen [erstellt von Carolin Förster]. Mit dem Bewusstsein über diese bereits bestehende Verteilung von Nachlässen über ganz Deutschland drängt sich auf, das Institut dezentral zu denken und vielmehr eine digitale Plattform einzurichten, auf der sämtliche Information zu allen Werknachlässen zusammenlaufen.
In unseren Diskussionen kam immer wieder die Frage auf, wie auch die Positionen gesehen werden können, die oftmals mit großem finanziellen Risiko und unter großem persönlichen Einsatz fotografisch arbeiten und großartige Sachen machen, aber keine Sichtbarkeit haben. Wir alle kennen solchen Künstlerpersönlichkeiten. Diese Frage drängte sich uns auf, da die Debatte so massiv von Düsseldorf her bestimmt wird. Die sogenannte Düsseldorfer Schule, so verdienstvoll sie ist, bestimmt aber nicht allein den Fotografiediskurs in Deutschland. Zwischenzeitlich konnte aber der Eindruck entstehen, dass es zuerst und vor allem um die Düsseldorfer Künstler*innen gehen soll. Da kommt der Impuls auf, das zurückzuweisen. Damit Hand in Hand geht unsere Sorge, dass ein Institut doch wahrscheinlich zuerst auf diejenigen blickt, die sich offensiv in Stellung bringen und die darüber hinaus auch über die Geldmittel – Stichwort Stiftungen – verfügen, um selbständig ein gepflegtes Archiv aufzubauen, das gewissermaßen zur Übergabe bereitsteht. Wie aber kann es gelingen, auch minoritäre, randständige Positionen einzubeziehen und hier zu einer insgesamt guten Gewichtung zu kommen? Muss dies nicht eine essenzielle Bedingung sein?
Wenn man die Anzahl der Nachlässe wirklich auf 30 begrenzt, könnte man das Projekt eher als ein Becherschule-Institut denken, das fände ich vollkommen legitim und dem Stellenwert dieser künstlerischen Positionen angemessen. Aber wie schon gesagt: Ich stelle mir das Institut größer vor. Übrigens ist auch in dem von Andreas Gursky und dem Verein zur Gründung und Förderung eines Deutschen Fotoinstituts e. V. erarbeiteten Konzeptpapier von angewandten Nachlässen die Rede, daraus schließe ich, dass in diesem Kreis ebenfalls an ein größeres Institut gedacht wird. Der Netzwerk-Gedanke impliziert ja, dass letztendlich mehr Lebenswerke ins Institut aufgenommen werden können, da nicht alles zentral gelagert werden muss. Dann hätte das Fotoinstitut Kapazitäten, sich auch um Nachlässe zu kümmern, die drohen unterzugehen. Die Sichtbarkeit eines Werkes hängt von vielen Faktoren ab, auch vom Geld, diese Sichtbarkeit nach dem Tod des*der Künstler*in zu erhalten. Mir scheint – gerade in unserer Zeit – die digitale Zugänglichkeit am Wichtigsten, gerade für die Werke von Künstler*innen, deren Status prekär ist. Wenn Werke in ihrer gesamten Ausdehnung digital zugänglich wären, würden aus einem Œuvre nicht immer die Werke zitiert werden, die Google auswirft oder in Publikationen reproduziert sind. Hierzu müsste eine Datenbank aufgebaut werden, die möglicherweise eine KI-gestützte Suchfunktion hat, auch Serverkapazitäten müssten umfangreich mitgedacht werden. Hierfür reichen meiner Ansicht nach die drei geplanten IT-Stellen nicht aus. Die digitale Struktur wäre das größte Potenzial des Institutes.
Wenn dann auch noch zusätzlich vermerkt wäre, bei wem die Bildrechte liegen, dann wäre auch für den Bereich der Publizistik viel gewonnen. Denn Bildrechte zum Druck zu erhalten, ist wirklich oft schwierig. Und wenn dann auch noch geklärt werden könnte, bei wem die Bildrechte auf den digitalen Plattformen liegen und wie wir in Zukunft diese Daten rechtlich einwandfrei weiterverwerten könnten, wäre das auch viel Wert.
Zu überlegen wäre an dieser Stelle, wie mit Vor- und Nachlässen umzugehen ist, die zu Lebzeiten sehr viel Geld erwirtschaftet haben. Hier könnten die Kosten, die die Betreuung des Nachlasses verursacht, aus einer Stiftung finanziert werden, die der*die Künstler*in zu Lebzeiten gegründet hat. Ich verstehe das im März 2020 von der Expert*innen-Gruppe vorgelegte Konzeptpapier so, dass dies geplant ist. Ich finde das richtig, denn eine Nachlassverwaltung mit Verleih der Arbeiten kostet Geld. Wird ein Werk aktiv gemanagt, müssen Ein – und Auslagerung, Leihverträge, Zustandsprotokolle und Reprorechte bearbeitet werden. Nicht einzusehen wäre, dass Künstler*innen, die zu Lebzeiten wirtschaftlich sehr erfolgreich waren, vom Staat dieses Management nach dem Tod bezahlt bekommen.
Zu den Stiftungen noch ein Gedanke: Zurzeit versuchen viele Künstler*innen, auf eigene Faust Stiftungen für ihre Werke zu gründen, was durchaus schlau ist, damit ein Werk in ein Institut überführt werden kann. Es löst auch einige Erbschaftsfragen. Jedoch braucht es zur Stiftungsgründung Knowhow und übrigens auch Geld. Vielleicht könnte das Bundesinstitut dieses Knowhow vermitteln und so Künstler*innen animieren, schon selbst zu Lebzeiten vorzusorgen?
Auch zur physischen Einlagerung von Werken ein Aspekt: Wenn man wirklich von einem Archiv mit Originalwerken ausgeht – oft großformatige Werke – und die Einlagerung von unzählbar vielen Negative bedenkt, dann braucht man riesige Kühlschränke und gekühlte Lagerhallen. Diese klimatisierten Lagerflächen und die Serverkapazitäten für ein digitales Archiv müssten mit ihren CO₂-Verbräuchen geplant werden, auch die Herstellung der Gebäude und die Erreichbarkeit mit ÖPNV gehen ja in die CO₂-Gesamtbilanz des Vorhabens ein. Ziel ist es doch, das Bundesinstitut für die nachfolgenden Generationen gründen, und aus dieser praktischen Perspektive kann man ja auch über den Standort nachdenken.
Vielleicht ist ein Manko in dieser ganzen Diskussion, dass die ,junge‘ Fotografie, die auf uns zukommt oder vielmehr auch schon da ist, bisher keinen Platz hat. Es dominiert der historisierende Blick.
Ja, das sehe ich auch so. In beiden staatlich beauftragten Konzeptpapieren wird zu wenig berücksichtigt, was Fotografie heute ist. Diese ist ja mit ihrer Einbettung in andere digitale Praktiken zu denken: Viele Künstler*innen verbinden 3D und Fotografie, Grafik und Fotografie, Performance und Fotografie, andere arbeiten mit stillstehenden und laufenden fotografischen Bildern auf Screens, wiederum andere arbeiten mit Fotografie im Kontext von sozialen Netzwerken und schließlich denken viele künstlerische Positionen Fotografie heute im Raum: Es entstehen Fotoskulpturen und ganze Installationen, dies auch, weil neue digitale Drucktechniken erlauben, Fotos auf Gegenstände und verschiedenste Materialen wie beispielsweise Stoffe zu drucken. Aus diesem Grund frage ich mich: Was gilt bei der Auswahl der Nachlässe als Fotografie? Wenn viele dreidimensionale Werke aufgenommen werden würden, müsste das physische Lager anders konzipiert werden, für solche Arbeiten funktionieren ja keine großen Gitterhängewände! Wenn das Fotoinstitut auch für künstlerische fotografische Arbeiten zuständig ist, die nur im Netz existieren, müssten die zugehörigen Plattformen mit gesichert werden. Diese Werke existieren ja nur solange, wie Facebook, Instagram und so weiter existieren. Hier könnte es darum gehen, die Plattform selbst zu konservieren oder wenigstens in einem Archiv darzustellen.
In der Fotografie kann man ja oft erst mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung wahrnehmen, was als Zeitdokument bedeutsam wird. Das macht es so schwierig zu entscheiden, was aus der Gegenwart aufgenommen werden kann oder sogar muss. Die Expertenkommission rund um Thomas Weski jedenfalls scheint erst einmal das Problem stärker in die Öffentlichkeit gerückt zu haben, dass diejenigen Künstler*innen, die ab den 1970er-Jahren maßgeblich dazu beigetragen haben, die Fotografie als künstlerisches Medium zu etablieren, vor der unklaren Situation stehen, was mit ihren Archiven geschieht, die es aber – aus der Sicht der Kunstgeschichte und der Forschung – zu erhalten gilt. Dass es jetzt also erstmal um die Sicherung dieser Archive gehen muss, bevor sie spätestens mit dem Ableben der Künstler*innen auf dem freien Markt landen oder aber ganz einfach verloren gehen. Das schlug immer als Haltung – oder auch als Warnschuss – durch.
Ich finde es absolut richtig, dass es zunächst um die Bewahrung analoger Archive geht – nur darf das Institut dabei nicht stehen bleiben, es muss sich gleichzeitig ins Digitale hineindenken.
Ich könnte mir sogar vorstellen, dass das Bundesinstitut auch alte analoge Maschinen erhält und Künstler*innen zentral auf diese fotografischen Techniken zugreifen könnten, das wäre für den Standort Deutschland fantastisch. Die Fotogeschichte wird ja auch anhand ihrer Techniken und ihrer Maschinen erzählt, vom Handbelichter zum Lambda bis hin zu den zeitgenössischen Drucktechniken.
Geht es dir dabei darum, über die Maschinen die unterschiedlichen Techniken verstehen zu lernen und den zeitlichen Verlauf zu rekonstruieren? Oder aber geht es dir darum, verschiedene Verfahren zu erhalten und weiter anwenden zu können? Letztere Idee wäre ja eher im Sinne von Andreas Gursky, der – wenn wir ihn richtig verstanden haben – zum Beispiel Prints in mittlerweile veralteten Verfahren neu produzieren möchte, um etwa beschädigte Originale auszutauschen.
Es wäre toll, wenn das Bundesinstitut eine große Bandbreite alter fotografischer Techniken bereitstellen könnte – sowohl für Aufnahme- wie Ausgabetechniken: Dem sind technisch zwar auch Grenzen gesetzt, da für viele Geräte Ersatzteile und Verbrauchsmaterialen nicht mehr hergestellt werden. Auch bei klassischen Fotopapieren und Filmmaterialen gibt es nicht mehr viele Hersteller. Trotzdem: Wir können ganz anders über das Medium Fotografie reflektieren, wenn wir die ihr zugrunde liegenden Techniken verstehen und lebendig halten.
Du scheinst die Idee zu haben, dass sich mit einem Institut für Fotografie die Technikgeschichte des Mediums abbildet und darüber vielleicht auch so etwas wie eine Kulturgeschichte der Fotografie. Aber weil du jetzt schon die Maschinen erwähnt hast: Wie stehst du zu der Anregung von Andreas Gursky, das Institut für Fotografie auch dazu zu nutzen, ein Zertifizierungsverfahren zu etablieren und damit eine neue Rechtsgrundlage, mit der ein beschädigter Print durch einen neuen ersetzt werden könnte – einer, der dem Original und seinem ursprünglichen Zustand versucht, so nahe wie nur möglich zu kommen?
Ich finde es sinnvoll, im Bundesinstitut Reproduktionsverfahren zu erforschen und einen Zertifizierungsstandard zu etablieren, denn künstlerische Farbfotografien in Form von C-Prints werden nicht Jahrhunderte überdauern. Ich würde mir wünschen, dass Menschen in 50 oder 100 Jahren farbige künstlerische Fotografie des 20. Jahrhunderts nicht nur als Datei, sondern als große „originale“ Prints anschauen können. Zu den Kosten solcher Reproduktionen müsste das vorhin erwähnte Prinzip greifen: Künstler*innen, die mit ihrem Werk viel Geld verdient haben, werden nur mit entsprechend finanziell ausgestatteter Stiftung aufgenommen und finanzieren somit ihre posthumen Reproduktionen selbst.
Du hast vorhin betont, wie wichtig du es findest, dass ein Nachlass vollständig ist, wenn er in ein Institut eingebracht wird. Aber: Was bedeutet „vollständig“ eigentlich? Was wäre denn „vollständig“ etwa in Bezug auf dein Werk oder dein Archiv? Ute Eskildsen hat bei der Pressekonferenz, auf der das Konzept für die Gründung eines Bundesinstituts für Fotografie vorgestellt wurde,5 sinngemäß gesagt, wir brauchen die Bibliotheken, wir brauchen die Briefe, wir brauchen die Konzepte, wir brauchen die Kontakte, wir brauchen irgendwie alles. Sicher kann das für die Forschung interessant sein, wenn nicht jetzt, dann irgendwann. Aber: Wie würdest du das für dich und dein Werk jetzt – heute – formulieren wollen? Wie gehst du mit deinem eigenen Archiv um? Was gehört dazu?
Ja, lasst uns über meine Arbeit sprechen. Das zeigt vielleicht anschaulicher, was ein künstlerisch-fotografisches Archiv sein kann. Bei mir ist das digitale Archiv zentral: Dort sind die fertigen Bilder als Dateien archiviert, außerdem finden sich dort recht genaue Anweisungen zur Produktion dieser Arbeiten. Im Atelier habe ich zu jedem Foto einen Artist Print und Teststreifen aufbewahrt, sodass klar ist, mit welcher Farbeinstellung und Dichte ein Foto belichtet beziehungsweise geprintet wurde. An den Artist Prints kann man auch die gewollte Präsentationsform ablesen, zum Beispiel die Breite der weißen Ränder. Bei zwei Serien sind die noch nicht verkauften Editionsnummern fertig geprintet im Regal. In einem Werkverzeichnis sieht man den Standort der verfügbaren Arbeiten und den Sammlungsnamen für die verkauften Fotos, meistens ist auch ein weiterer Besitzer*innen-Wechsel notiert. Das Archiv ist also recht übersichtlich und gibt Auskunft über den Verbleib der Werke. Wenn ich mein Archiv in eine längere Zukunft denke, dann wäre eine Anforderung sicher, dass die fertigen Bilddateien frisch gehalten werden müssen, dass alte Datensätze umkopiert und in den neusten Programmversionen geöffnet und neu gespeichert werden. C-Print-Farbmuster sind auf Dauer nicht aussagekräftig, da sie sich selbst verändern. Hierfür müsste man Referenzen auf einem Tintenstrahldrucker erstellen, das habe ich bis jetzt nicht getan. Einige Serien sind auf einem Tintenstrahldrucker produziert, für diese sind die vorhandenen Teststreifen sicher lange gültig. Auch wichtig wäre mir, dass selbstgeschriebene Texte zu fotografischen und gesellschaftlichen Phänomenen erhalten bleiben, dafür gibt es auf meinem Rechner einen Ordner mit veröffentlichten Texten, der gerade mal wieder aufgeräumt werden müsste. Ihr erinnert mich an all die unerledigten To-dos! Alles andere wie private Briefe und persönliche Notizen würde ich nicht in ein Archiv geben, das wäre mir zu viel Personenkult. Zu den drei Arbeitsgruppen R, SL und Z gibt es viel historisches Recherche- und Quellenmaterial, dies wäre sicher sinnvoll zu archivieren. Ein Archiv der Publikationen und Kataloge mit Bildbeiträgen und Texten anderer über mich gibt es sowieso in meinem Atelier, ich vermute, sowas ist ja Standard bei fast jede*r Künstler*in. Ich habe außerdem eine Sammlung von Installationsfotos. Hier sieht man, welche Hängungen und Kombination von Arbeiten ich gemacht habe. Ich bewahre einige „Zwischenentwicklungsarbeiten“ auf, da sie für mein Weiterkommen hilfreich sind. Diese Arbeiten sind misslungene und verworfene Ansätze. Beim Aufräumen oder Umziehen fallen sie mir immer wieder in die Hände: Sie beruhigen mich, weil ich an ihnen sehe, dass nach komischen Ideen und unsouveränen Ausführungen wieder brauchbare Arbeiten entstanden sind. Außerdem enthalten solche Zwischenentwicklungsarbeiten oft schon entscheidende Aspekte, die in späteren Arbeiten wiederauftauchen. Trotzdem würde ich sie nicht veröffentlichen. Diese Arbeiten sind in meinem Archiv gekennzeichnet, über diese dürfen sich meine Erben amüsieren mit der Bitte, sie danach zu löschen beziehungsweise physisch zu vernichten.
Was wäre denn für dich jenseits eines respektvollen Umgangs mit deinen Verfügungen die Voraussetzung, um deinen Vor- oder Nachlass mit einem guten Gefühl einem Institut – was für ein Ort das auch immer sein mag – zu übergeben?
Ich würde mir wünschen, dass die physischen Arbeiten lebendig verwaltet werden, das heißt für Ausstellungen ausgeliehen werden. Auch einen einfachen Zugang zu Bild- und Textdaten fände ich wichtig. Außerdem müsste man auch in meinem Fall schauen, was mit der künstlerischen Arbeit erwirtschaftet wurde. Eine Stiftung habe ich bis jetzt nicht gegründet. Für das Bundesinstitut wünsche ich mir, dass die Standortfrage schnell geklärt wird und das Konzept so nachgeschärft wird, dass es die nächste Wahl übersteht. Dafür könnten wir Fotografie-Akteur*innen doch alle an einem Strang ziehen.