Andreas Langfeld
Ein gutes System und ein gutes Archiv, was so richtig on point und zu Ende gedacht ist, ist ja fast schon ein Luxusgut

LA

Seit sich unsere Fragen zum Bundesinstitut in die Studios hinein verlagert haben, geht es uns im Kern darum, unterschiedliche Erscheinungsweisen des Fotografischen und seine Archivierungsformen zu untersuchen: Wie zeigt sich Fotografie? Wie manifestiert sie sich und in welchem Material? Welche notwendigen Schritte zur Bewahrung ergeben sich daraus? Wir finden in diesen Zusammenhängen speziell deine Arbeit Newsroom-Editeure aus dem Jahr 2017 interessant. Hier geht es um Zirkulationsweisen fotografischer Bilder, in diesem Fall um die Zirkulation journalistischer Bilder. Das ist gewissermaßen ein Gegenpol zu dem, was in Archiven passiert, wo das Material festgehalten und archiviert wird, wohingegen für die Newsroom-Editeure die Fluidität von Bildern bestimmend zu sein scheint. Das könnte ein ganz guter Ansatzpunkt sein, um zu erfahren, wie heute bildjournalistisch gearbeitet wird und was sich daraus für Fragestellungen für Archive mit bildjournalistischen Inhalten ergeben.

AL

Newsroom-Editeure ist eine Arbeit, die einen Blick wirft auf die nicht sichtbaren Prozesse hinter den Bildern, die uns täglich erreichen: Da wird ausgewählt, manche Bilder fallen durchs Raster, andere werden Titelseiten. Wie wird das eigentlich entschieden? Was passiert mit den Bildern und wie viele Bilder zirkulieren und wie schnell passiert das alles? Das waren Fragen, die mich an dieser Arbeit interessiert haben. In diesen modernen Bild-Fabriken, wenn man die Bildagenturen so nennen möchte, entstehen tatsächlich viele Bilder, die Einzug in unser kollektives Gedächtnis finden und es somit auch beeinflussen. Wer sind die Akteur*innen hinter den Bildern und was ist deren Aufgabe?

LA

Newsroom-Editeure war eine Auftragsarbeit, oder?

AL

Genau, für die Biennale für aktuelle Fotografie in Mannheim, Ludwigshafen und Heidelberg 2017. Ich hatte nicht viel Zeit und begann im Mai zu filmen und zu fotografieren – und im September war die Ausstellung. Mein generelles Interesse an dem journalistischen Bild und daran, auch einmal auf die dahinterliegenden Prozesse zu schauen, hinter die medialen Bilder und hinter das journalistische Bild, kam von Arbeiten, die schon vorher entstanden waren. Das waren zum einen meine Diplomarbeit Status und zum anderen Stationen – Fotosammlung der Familie Khalil 1998–2016, die auf einer Skepsis gegenüber medialen und journalistischen Bildern basieren. Mit dieser Skepsis fand ich es dann nur fair, mich auch der anderen Seite zu widmen und einen Blick hinter die Kulissen zu werfen.

LA

Es ist interessant, dass du den Weg in die Agenturen gewählt hast – ein anderer Weg hätte ja auch sein können, die Fotograf*innen, die im Geschehen selbst unterwegs sind, über das dann berichtet wird, zu begleiten und zu gucken, wann ein Bild gemacht wird. Das gehört ja auch zur Erzählung über journalistische Bildikonen. Aber zu untersuchen, wie die Prozesse sind, die welche Bilder dann nach vorne bringen, ist eine interessante Bewegung in deinem Projekt. Ist das ein Moment, der dich geleitet hat? Gar nicht mehr das konkrete Berufsbild der Bildjournalist*innen oder Fotoreporter*innen zu untersuchen, sondern das Agenturgeschehen?

AL

Ich finde diesen Aspekt interessant und werde den bestimmt noch mal aufgreifen. Allerdings habe ich auch das Gefühl, dass wir meinen, schon relativ viel darüber zu wissen. Es gibt viele Reportagen, in denen Fotograf*innen im Einsatz begleitet werden. Ich fand es interessanter, was danach passiert. Letztlich – und das ist mir auch während der Arbeit aufgefallen, als ich vor Ort war und fotografiert und gefilmt habe – haben die Fotograf*innen gar nicht so viel Mitspracherecht daran, welche Bilder zirkulieren, welche Bilder die Ikonen werden oder nicht, welche auf die Titelseiten kommen oder aussortiert werden. Ich hatte mir zwei gesellschaftlich relevante Themen ausgesucht, zu denen ich gearbeitet habe. Das eine war bei der Agence France Press (AFP) in Paris am Tag der Stichwahl zwischen Macron und Le Pen und das andere in der dpa in Berlin, an dem Tag, als der G20-Gipfel in Hamburg stattfand. Und das sind natürlich Ereignisse, wo alles sehr schnell gehen muss. Die Fotograf*innen vor Ort haben keine Zeit, in Ruhe eine Vorauswahl am Bildschirm zu treffen, ein paar Bearbeitungen zu machen und sie dann ans Büro zu schicken. Die Bilder gehen teilweise direkt von der Kamera auf die jeweiligen Server. Dort sind die Bildredakteur*innen diejenigen, die die Bilder auswählen, sie zuschneiden und in ihrer Wirkung anpassen.

LA

Dieser Prozess wird in deinem Film sehr gut vermittelt, man kriegt das ganz genau mit. Es gibt an einer Stelle ein Telefongespräch mit einem Fotografen, der erzählt, dass er gerade Pfefferspray in den Augen hat und zugleich kommen die Bilder direkt rein und die Redakteurinnen diskutieren darüber. Man sieht das Bild aus der Agentur und der Redaktion und gleichzeitig machen sich aber viele andere Bilder auf, die gar nicht konkret gezeigt werden, nämlich von dem gleichzeitig stattfindenden Ereignis.

AL

Ja, das ist spannend – der Bildchef von der AFP hat erzählt, dass ein Bild, nachdem es aufgenommen ist, heutzutage bereits in 40 Sekunden beim Klienten sein kann. Das Bild geht also von der Kamera direkt an die Server raus. Das ist das System. Es basiert auf einem sehr, sehr hohen Konkurrenzdruck. Es geht nicht nur darum, dass das Bild inhaltlich und ästhetisch für diesen bildjournalistischen Markt oder für diese Medienwelt funktioniert, sondern es muss eben auch schnell sein.

LA

Du hast ja nicht nur fotografiert und die Bilder zu einer Rauminstallation zusammengefügt, die einen Newsroom nochmals nachempfindet, sondern dazu ist auch ein Film entstanden, der an Harun Farocki erinnert. Man kann hören, wie über brisante politische Themen hart verhandelt und welches Bild sich durchsetzen wird. Die Musik des Films besteht aus Mausklicks, den Tastaturgeräuschen der Redakteur*innen, die über Bildschirme scrollen und Dinge eingeben und suchen, womit die Härte dieses Geschäfts und die Schnelligkeit der Entscheidungsfindung noch mal unterstrichen werden. Geht es dir mit der Reinszenierung eines Newsrooms in den unterschiedlichen Ausstellungszusammenhängen auch um die Wichtigkeit des journalistischen Bildes, im Sinne des Zeugnischarakters des Bildes? Oder geht es dir umgekehrt genau darum, diesen vermeintlichen Evidenzcharakter des einen Bildes, das es dann in die Zeitung schafft, zu hinterfragen? Oder lebt die Arbeit genau von dieser Ambiguität?

AL

Ich würde sagen beides. Natürlich ist es wichtig, dass es journalistische Fotografie gibt, die dokumentiert und aufnimmt, was auf dieser Welt passiert. Und natürlich spielt es auch mit dem Evidenzcharakter, dem wir ja sofort erliegen, wenn wir ein Bild betrachten – auch innerhalb der Medienlandschaft, wo wir natürlich wissen, wir als Bildprofis, was dahintersteckt. Aber selbst mit dieser Erkenntnis manifestieren sich die Bilder in unserem Gedächtnis. Ich möchte dem Evidenzcharakter der Bilder das System nebenan stellen, in dem diese Bilder entstehen. Mir war dabei eine vermittelnde und beobachtende Rolle wichtig und deswegen setze ich die Arbeit auch aus den verschiedenen Ebenen zusammen. Der Raum soll an einen Newsroom erinnern, aber man soll auch den Raum betreten und sofort von visuellem Stress erschlagen werden. Da sind so viele Bilder direkt an die Wand tapeziert, die sich aus Filmstills auf Wallpapermaterial gedruckt zusammensetzen. Dazu gibt es noch eine Ebene mit Fotografien. Das sind digitale C-Prints, die mit Nägeln als ein weiterer Layer drauf genagelt sind und sich überlappen. Sie stellen gewissermaßen einen Gegenpol dar, weil sie zwar auch Arbeitssituationen, aber eher Details und ruhigere Momente zeigen. Dann gibt es den Film, eine Drei-Kanal-Videoinstallation, also drei Screens nebeneinander, die den Hauptteil der Arbeit ausmachen. Und schließlich die gerahmten Porträts von den Bildredakteur*innen bei der Arbeit, die dadurch, dass sie als einzige Bilder an dieser Wand gerahmt sind, von der Stressebene etwas isoliert werden. Das referiert auf den Tunnelblick, wenn die Redakteur*innen alleine vor ihren Screens sitzen und sich auf die Bilder konzentrieren, arbeiten und auswählen müssen.

Durch die Verdichtung der Bilder und den Filmstills der Schlüsselszenen ist es möglich auf den ersten Eindruck, nur beim Betrachten der Bilder, eine Idee davon zu bekommen, worum es in dem filmischen Teil der Arbeit gehen könnte.
Das ist praktisch, denn zum einen haben wir, wenn wir durch eine Ausstellung gehen, nicht immer Lust, einen 50-minütigen Film zu schauen, und zum anderen fand ich da auch die Ambivalenz interessant, dass ich im Prinzip dem Film etwas vorwegnehme. Ähnlich wie es ja auch mit den vielen Bildern passiert, die sich ständig wiederholen. Die Bilder, die in der bildjournalistischen Praxis entstehen, wiederholen sich permanent und wir haben das Gefühl, sie von jedem Event schon zu kennen und somit, ja, schwächen sie sich gewissermaßen selbst. Gerade wenn es um Ikonen geht.

LA

Noch eine inhaltliche Frage zu den Agenturen und Redaktionen, die du besucht hast – gibt es da gewisse Standards in den Prozessen? Oder unterscheiden sie sich voneinander? So wie sich etwa Zeitungsredaktionen selbstverständlich voneinander unterscheiden und dann auch verschiedene Zielgruppen haben?

AL

Ja, total. Um erstmal mit den Bildredaktionen von Magazinen und Tageszeitungen anzufangen: Die haben ein bisschen mehr Zeit. Die haben zwar auch einen stressigen Alltag, weil es Redaktionsschluss und Deadlines und Drucktermine und all das gibt. Aber es gibt dort Redaktionstreffen, in denen dann auch über Bilder und zum Beispiel die Platzierung auf der Titelseite und so weiter diskutiert wird. Aber in den Bildagenturen, gerade während solcher Events, bei denen ich dabei war, habe ich das nicht mitbekommen. Da hat der Bildredakteur oder die Bildredakteurin alleine entschieden und schnell entschieden. Der Zeitfaktor ist ein großer Unterschied zwischen den Presseagenturen, Bildagenturen und den Bildredaktionen der Medien. Ein gemeinsamer Standard im Vorgehen oder Verständnis der Arbeit ist der Pressekodex. Darüber hinaus sind die journalistischen Bildwelten ja auch geprägt, sie prägen sich alle untereinander. Das folgt alles einem Zeitgeist, welche Bilder gerade funktionieren, und daraus ergibt sich, glaube ich, ein Standard in der Bildsprache oder in der Auswahl der Bilder. Natürlich probieren die Fotograf*innen und die Bildredaktionen immer, besondere Momente zu finden, um in diesem Bilderpool aufzufallen. Aber trotzdem ist es ziemlich redundant, ohne dass ich den Fotograf*innen etwas absprechen will, sie machen ja trotzdem subjektive Bilder.

LA

Du hast gesagt, dass es eine stille Übereinkunft gibt, welche Bilder funktionieren, und dass dies auch ein Stück weit unerklärlich ist. Im Film wird deutlich, dass subjektive Entscheidungsprozesse eine Rolle spielen – und trotzdem kommt man zu ähnlichen Bildern. Das erinnert an ein Buch von Kerstin Schankweiler, das Bildproteste heißt Allerdings geht es da nicht um bildjournalistische Bilder, sondern um Bilder, die Protestierende selbst machen. Schankweiler stellt hier die These auf, dass die Bildikone nicht mehr existiert, sondern dass diese durch Bilderschwärme abgelöst wird. Und das ist vielleicht interessant, wenn wir, die wir über Fotografie reflektieren und sie ausstellen, uns die Frage stellen, welches Bild warum Einlass findet, wenn man gleichzeitig zu dem Befund kommen muss: Das Zeitalter der Medienikone ist vorbei. Und trotzdem gibt es ja diese Übereinkunft darüber, was funktioniert.

AL

Ich glaube, das ist dem Markt und dem System geschuldet. Die Bildauswahl, die die Agenturen von so einem Event anbietet, also zum Beispiel von einer Demonstration, muss extrem groß sein, damit jede*r ihrer Abonnent*innen oder Kund*innen dort fündig wird und nicht zu der Konkurrenz geht. Und deswegen bildet jede Agentur neben den Highlights eigentlich dieselbe Range an Bildern ab. Das sind, glaube ich, dann eher die vielen Bilder, die sich über das einzelne Bild legen. Aber es gibt ja noch das Bild, das von diesem einen Event ikonisch werden kann, also das Bild, das unabhängig voneinander mehrere Zeitungen oder Onlinemedien für ihre Titelseite auswählen. Das sind dann besondere Momente. Ich glaube auch, dass jede Agentur probiert, dieses Bild zu liefern, von jedem Ereignis. Die Fotograf*innen wie auch die Bildredakteur*innen wissen, welche Bilder funktionieren und welche Bilder gekauft werden, welche Bilder eine konservative Tageszeitung und welche Bilder die taz von der Demo braucht.

LA

Es gibt eine starke Szene in deinem Film über den Auswahlprozess von Bildern, die eine Frau zeigen, die beim G20-Gipfel auf einen Wasserwerfer gestiegen ist. Wie sie da auf dem Wasserwerfer steht, hat ja im Grunde eine Art ikonisches Bild produziert. Die Redakteur*innen diskutieren darüber. Sie haben im Portfolio noch ein Porträt derselben Frau, aber darauf sieht man keinen Wasserwerfer, kein weiteres Umfeld. Es ist im besten Sinne ein Porträt – sie hat die Augen geschlossen, ihr Gesicht ist nass, sie hat sich wohl gerade das Tränengas aus den Augen gewaschen. Das ist ein total interessanter Moment, weil die Redakteur*innen voll darauf anspringen, fast im Affekt, ganz viel empfinden und dieses Bild auswählen wollen. Aber sie tun es dann doch nicht, weil klar ist, dass es in einem journalistischen Kontext nicht besonders viel erzählt. Und es gibt dann später nochmal eine Szene, in der ein Redakteur in der nächsten Schicht es plötzlich wieder rauskramt, obwohl es eigentlich längst aussortiert wurde. Und das passiert, weil dieses Bild etwas auslöst – es gibt wenig Information, aber es berührt.

AL

Das war lustig, denn ich habe da interveniert, weil ich natürlich die Schicht vorher und die Diskussion um das Bild mitbekommen hatte. Der Bildredakteur der Abendschicht wollte das Bild dann veröffentlichen, worauf ich ihn dann darauf hingewiesen habe, dass das Bild vom Bild-Chef bereits abgelehnt worden ist und er vielleicht nochmal Rücksprache halten sollte. Er hatte die Diskussion vorher nicht mitbekommen und dann wurde die nochmal geführt. Das finde ich auch irgendwie spannend.

LA

Dieses Bild hat viel von Bildern – in dem, was es auslösen kann –, die man in privaten Fotoalben findet. Deine Arbeit mit der Familie Khalil beschäftigt sich genau mit so einem privaten Fotoalbum, auch aus einem ganz expliziten Interesse heraus.

AL

Die Arbeit ist vor Newsroom-Editeure entstanden aus dem Impuls heraus, dass ich Skepsis oder eine Diskrepanz gespürt habe gegenüber den Bildern, die in der Medienlandschaft zum Thema Flucht und Migration kursierten, und dem, wie ich das wahrgenommen habe. Es ging darum, dem etwas entgegenzusetzen. Das habe ich bereits in meiner Diplomarbeit Status probiert, wo ich selber fotografiert habe. Und in Stationen habe ich eine Form gesucht, noch partizipativer mit den Menschen zusammenzuarbeiten, um die es geht. Ich habe mich dazu entschieden, nicht zu fotografieren, sondern mit deren eigenen Bildern und auch ganz eng mit der Familie zu arbeiten. Grundlage waren ihre vielen Handybilder, die auf der Flucht entstanden waren. Sie waren aus Syrien zunächst in der Türkei, dann über Griechenland und Mazedonien irgendwann in Leipzig angekommen und haben mir diese Handybilder zur Verfügung gestellt genauso wie analoge Bilder, die sie aus ihrem Familienalbum herausgenommen hatten, kleine 10 × 15 cm große Abzüge. Sie hatten eine Auswahl von etwa 20 Bildern in einer kleinen Plastiktüte aus Syrien mitgenommen. Wir haben uns dann immer in Leipzig getroffen – die Arbeit ist für das F/Stop-Festival in Leipzig entstanden – und an den Bildern gearbeitet und Auswahlen getroffen. Es ging vor allem auch darum zu klären, welche Bilder man zeigen kann und welche nicht. Im Prinzip haben wir da die Bildredaktion gemacht und einen Bilderpool ausgewählt, mit dem ich weiterarbeiten konnte, um eine Hängung zu überlegen.

Ein Bildarchiv, das privat und nicht kommerziell entsteht, ist natürlich nicht vergleichbar mit dem Bildarchiv einer Agentur. Die Intention und die Funktion sind grundsätzlich verschieden. Interessant für die Arbeit, die mit dem Archiv der Familie Khalil entstand, ist der Versuch Leerstellen zu schließen. Leerstellen zum Thema Flucht und Migration, Bilder, die in der Medienlandschaft nicht funktionieren, weil es dafür kein Interesse gibt. Die Bildsprache, wie über das Thema berichtet werden soll, ist eine andere. In der journalistischen Praxis geht es vielmehr darum, an den Hotspots zu fotografieren, an Grenzübergängen, in Lagern, Bilder von überfüllten Booten auf dem Mittelmeer gewinnen Awards, und je mehr menschliches Leid man zeigen kann, desto besser. Das sind zumindest die Bilder, die dominieren. Andere Ansätze sieht man eher weniger. Hin und wieder probieren Zeitungen oder Magazine das schon auch. Es gibt zum Beispiel Zeitungen wie Le Monde, die mal einen künstlerisch arbeitenden Dokumentarfotografen einladen oder Arbeiten, die es schon gibt, abdrucken. Zu der Zeit, in der die Arbeit entstand, habe ich das aber anders wahrgenommen. 

Das Bildarchiv der Familie Khalil basiert auf ähnlichen Prinzipien wie unsere eigenen Handybilderarchive. Die Kriterien, nach denen Bilder gemacht werden, und die Momente, in denen Bilder gemacht werden, sind ähnlich. Es werden Momente aufgenommen, an die man sich erinnern möchte. Man möchte sich selber in dem Raum, in dem man gerade ist, verorten oder sich seinen Nächsten mitteilen. Letzteres hat für Menschen auf der Flucht nochmal eine ganz andere Bedeutung. „Ich bin grad hier und mir geht es gut“.

LA

Wie kann man sich diese Zusammenarbeit vorstellen? Haben sich eure Interessen während des Auswahlprozesses der Bilder überschnitten? Ist das alles im Gespräch entstanden? Hattest du einen anderen Fokus darauf als die Familie? Wo habt ihr euch da getroffen?

AL

Wir hatten natürlich eine Sprachbarriere und daher einen Übersetzer dabei, der zwischen uns vermittelt hat. Ich habe die Bilder nach einem gewissen Strang, einer gewissen Narration ausgesucht und darüber hinaus auch Bilder, die ich fotografisch interessant fand. Ich glaube, für sie waren es eher spezielle Momente, die wichtig waren. Wir haben uns dann in der Mitte getroffen und genau das war super.

LA

Wenn man jetzt nochmal an die Arbeit Newsroom-Editeure denkt, fällt auf, dass zwar die Bilder, die es schließlich auf die Titelseiten der Tageszeitungen schaffen, immer im Zentrum der Verhandlungen stehen, diese Arbeit aber auch die ganze Zeit von Text umgeben ist, nämlich dem Gespräch über die Bilder oder um die Bilder herum. Wenn ich die Rauminstallation von Stationen betrachte, sehe ich gar keine Kontextualisierung. Es ist ja typisch für das Medium Fotografie, dass es zumeist von Text umgeben ist und diesen illustrierenden Charakter hat. Von Familienbildern würde man auch sagen, dass sie vor allen Dingen dann eine Bedeutung erlangen, wenn sie mit den Geschichten und der jeweils individuellen Bedeutung für die Familie aufgeladen sind. Warum hast du dich entschieden, dieses Material losgelöst von Text zu zeigen?

AL

Das stimmt, es gibt keine textliche Kontextualisierung in der Arbeit. Aber die Betrachter*innen wussten, dass es um eine Fluchtgeschichte geht, das wurde schon kommuniziert. Sie waren in der Ausstellung allerdings mit den Bildern alleine und mussten sie mit den Bildern abgleichen, die sie glauben zu dem Thema Flucht und Migration zu kennen. Daran wird gerüttelt, weil es ganz andere Bilder sind.

Ohne dass ich jetzt eine Fluchtgeschichte schmälern will, aber manche Bilder erinnern an ganz normale Urlaubsfotos einer Familie, weil sie teilweise relativ lange an einem Ort gelebt haben. Natürlich werden auch tendenziell eher die schönen Momente festgehalten als die aussichtslosen. Da hat man andere Sorgen. In der Türkei waren sie ein Jahr und haben dann erst entschieden weiterzugehen, beziehungsweise der 16-jährige Sohn hat entschieden zu gehen, weil er in der Türkei nicht zur Schule gehen konnte und keine Perspektive sah – er ist dann alleine losgegangen. Die Familie hat es, glaube ich, nur einen Monat ausgehalten und ist dann hinterher. Sie haben sich zwischendurch auch verloren und länger nicht gesehen und erst in Deutschland wiedergefunden. Solche Geschichten stecken auch alle in der Arbeit.

LA

Das heißt, die Bilder sind, obwohl sie zum Teil wie Urlaubsbilder wirken, doch auch aufgeladen. Aber aufgeladen durch diese persönliche Ebene – eine Schicksalsgeschichte oder Schicksalsgemeinschaft, die die Familie dann gebildet hat. Und vielleicht deshalb ohne Text, um ein Stück weit Normalität reinzubringen?

AL

Ja, und für einen möglichst vorurteilsfreien Zugang ohne Meinungen oder Haltungen anderer.

LA

Auf der Ebene funktioniert das auch und das war unter anderem vorhin auch der Anknüpfungspunkt mit dem Pressefoto von der Frau, das in der Zeitung eben nicht funktioniert, weil es komplett kontextfrei ist. Man bräuchte eine umfangreiche Bildunterschrift, um den Zusammenhang zu erklären. Solche Fotos aber funktionieren in einer Form der Narration, weil sie eine größere Offenheit bieten und anders rezipiert werden.

AL

Natürlich. Es gibt ja auch eine riesengroße Diskrepanz darin, wie wir Medienbilder anschauen und welche Prozesse dahinterstehen, wenn wir in einem Augenblick oder in einem Swipe das Bild schon gesehen haben, dann das nächste kommt und wir überhaupt nicht mitdenken, was dahintersteht. Wenn wir allerdings in Ausstellungen gehen und uns eine Arbeit anschauen, dann ist das natürlich ein ganz anderer Kontext. Wir sind überhaupt nur wegen der Bilder da und lassen uns ganz anders darauf ein.

LA

Das Porträtfoto von der Frau ist vielleicht ein Idealbild, um es herauszulösen. Als künstlerische Arbeit würde es in dem Sinne funktionieren, dass eben nicht das Zentrum des Geschehens abgebildet ist, sondern die Dinge, die am Rande passieren. Es zeichnet sich ja ab, dass die Funktionsmechanismen der Bildagenturen zunächst durch das Aussortieren, Weglassen, Löschen charakterisiert werden könnten. Werden diese Bilder eigentlich alle nachgehalten? Wie kann man das Verhältnis von einem journalistischen Bildarchiv zu einem privaten Bildarchiv und dann aber auch zu einem künstlerischen Bildarchiv beschreiben?

AL

Es werden natürlich viele Bilder aussortiert, aber dennoch werden auch viele Bilder gespeichert und sehr viele Bilder angeboten. Ich habe letztes Wochenende im AFP-Forum geguckt, wie viele Bilder dort angeboten wurden: Am Samstag waren es in allen Kategorien, also News bis Sport, 5750 innerhalb von 24 Stunden. Und das nur von einer Agentur und nachdem die Bilder bereits aussortiert worden waren. An den zwei Tagen während des G20-Gipfels waren 15 Fotograf*innen von der dpa unterwegs und haben 1500 Bilder veröffentlicht. Es entstehen also trotzdem noch sehr, sehr viele Bilder. Ich will mir gar nicht vorstellen, wie groß die Archive sind, denn es kommen ja täglich 24 Stunden Weltgeschehen hinzu. Die Agenturen haben überall auf der Welt Büros und nie Büroschluss durch all die verschiedenen Zeitzonen.

LA

Werden die Bilder ohne zeitliches Limit aufbewahrt?

AL

Alle Bilder, die gesendet wurden, also online zur Verfügung gestellt und angeboten wurden, werden archiviert. Ohne Limit. Täglich. Die Fotograf*innen bekommen zusätzlich die Mittel alle Bilder stationär bei sich auf Festplatten zu sichern, auch die, die sie nicht geschickt haben.
Generell können die Fotograf*innen nach einem hektischen Event, wo alles schnell gehen musste, nochmal in Ruhe eine Bildauswahl treffen und diese dann an die Agentur schicken, das wird dann ebenfalls auf den Agentur-Servern archiviert. Zumindest ist es bei der AFP so.

LA

Dann wäre es interessant zu wissen, nach welchen Schlagworten und wie sie das ablegen.

Wenn wir über Archivierung oder vom Nachhalten der Bilder sprechen, kann das eigentlich immer nur nach den jeweiligen Funktionsweisen der Unternehmen und Betriebe funktionieren? Ist überhaupt so eine Art gigantische Plattform vorstellbar, auf der Bilder lesbar werden können, egal aus welchen oder aus unterschiedlichen Herkünften?

AL

Ich glaube schon, dass das geht. Es passiert im Grunde auch automatisch, dass unsere Telefone – da bin ich immer wieder überrascht, weil ich das überhaupt nicht einstelle –, auf einmal irgendwelche Ordner zusammenstellen, in denen überall dieselben Personen drin sind oder alle Porträts drin sind und so weiter. Das wird ja von dem Algorithmus verschlagwortet oder kategorisiert, ohne dass ich dafür irgendetwas tue. So gesehen ist es technisch möglich, aber ich weiß nicht, ob man das braucht. Es gibt ja viele Bilder im Internet und man kann nach ihnen suchen und man kann auch Bilder eingeben und nach den Bildern suchen lassen.

LA

Ja, vielleicht ist das eine Frage, die sich entweder schnell erledigt oder die schwer zu beantworten ist. Das wäre aber eine Überleitung, da du gerade deine privaten Fotografien, die du mit deinem Handy aufnimmst, erwähnt hast. Du bist ja im letzten Jahr mit einer eigenen Arbeit auf den Social-Media-Kanälen aktiv geworden. Wie ist es zu dieser Arbeit gekommen, die im konkreten Bezug auf das vergangene Jahr der Pandemie steht, und wie entwickelt sich die Arbeit?

AL

Ich habe nachts öffentliche Orte fotografiert, die durch die Schutzmaßnahmen gegen die Ausbreitung des Coronavirus ihrer Funktion beraubt und abgesperrt waren. Menschenleer und geblitzt. Dadurch wirken die Bilder dystopisch oder unreal wie die Zeit selbst, die sie dokumentieren. Für mich ist die Arbeit der Versuch auf das, was gerade passiert, zu reagieren. Ich hatte das Gefühl, ich muss jetzt rausgehen und etwas machen. Durch Fotografie kann ich mich dem Unbekanntem, dem, was da gerade passiert, nähern. Dieser Schwebezustand hat sich ja lange Zeit gehalten und deswegen fand ich Instagram als Plattform passend, um diese Bilder zu teilen. Der Prozess vom Fotografieren zum Teilen auf der Plattform hat so etwas Unmittelbares. Ich konnte direkt am nächsten Morgen ganz früh das veröffentlichen, was ich ein paar Stunden zuvor in der Nacht gesehen und fotografiert hatte. Das war stellenweise wie eine Morgenroutine für mich. Ich habe auch viele Reaktionen auf diese Bilder bekommen – Leute haben mir geschrieben und wir sind über die Bilder in ein Sprechen über das, was da eigentlich gerade passiert, gekommen. Oder sie haben mir Bilder von ihren abgesperrten Bereichen geschickt. Ich sehe Instagram als eine Art Zwischenspeicher, durchaus kuratiert, aber man kann es auch schnell wieder rausnehmen. 

Ich wusste lange überhaupt nicht, ob das eine neue Arbeit werden wird oder ob ich das einfach impulsiv mache, um auf die Zeit zu reagieren, die mich sehr bewegt. Dafür ist Instagram gut, weil es in der Form noch nicht gesetzt ist, sondern eher ein Ausprobieren ermöglicht. Im Vordergrund stand da das Teilen der Bilder im Dialog mit der „Welt“.

Es ist nicht so, dass ich mir im Vorfeld gedacht habe, ich mache jetzt eine konzeptuelle Instagram-Arbeit und das ist meine Plattform. Aber wie schnell erschöpft sich so etwas?

LA

Und du machst es ja immer noch.

AL

Ich mache es immer noch und die Reaktion ist eigentlich auch immer noch gleich hoch. Man kriegt ja sofort ein Feedback, das ist ja auch interessant.

LA

Meinst du die Herzchen?

AL

Man wird sofort mit Herzchen überschüttet.

LA

Ein großer Unterschied zum konventionellen Kunstbetrieb …, aber du hast inzwischen die Arbeit ja auch schon woanders veröffentlicht, oder?

AL

Ja, ich habe mal einen Vortrag über die Arbeit gehalten bei einem Symposium, das About Walking hieß – eine Kooperation zwischen der Chennai Photo Biennale und der Biennale für aktuelle Fotografie in Mannheim, Ludwigshafen und Heidelberg. Und es gab in der Photonews einen Beitrag. Ich denke, dass diese Bilder inzwischen eine Eigenständigkeit entwickelt haben und ich sie aus diesem Zwischenspeicher jetzt herausholen und mir eine Form dafür überlegen kann.

Bisher haben sie diese richtige Form noch nicht, aber ich habe verschiedene Ideen, wie das funktionieren könnte. Instagram ist es definitiv nicht. Wenn man das jetzt ausstellen würde, könnte man Instagram oder diese Phase vielleicht als Dokumentation mit zeigen. Aber ich denke nicht, dass ich einfach Smartphones mit Instagram hinhängen würde.

LA

Das klingt danach, dass Instagram eher für eine Skizzenphase herhält, wobei ein Skizzenbuch ja eigentlich erstmal privat ist oder man es für sich alleine führt, aber hier ist es dann bereits einer Form von Öffentlichkeit ausgesetzt. Oder spielt es in dem Fall eine so wichtige Rolle, dass diese Vorgeschichte auf Instagram auch immer Teil der Arbeit bleiben wird und entsprechend dann von dir auch dokumentiert wird und in dein Archiv eingeht?

AL

Ja, ich denke, ich werde das dokumentieren. Also, ich habe auch schon meinen Bildschirm aufgezeichnet, für den Fall der Fälle – Instagram war ja kürzlich fast weg. Ich werde immer miterzählen, dass in der Phase, als die Arbeit entstanden ist, Instagram eine wichtige Vor-Form für die Arbeit war. 

Durch Instagram und den Prozess des Bilderteilens konnte ich mich direkt an die Außenwelt wenden, in einer Zeit, in der es gefühlt keine Außenwelt gab, zumindest auf sozialer Ebene. Dafür war Instagram wichtig.

LA

Wir fragen das auch deswegen, weil wir in einigen unserer Gespräche an diesen Punkt kommen: Wie ist es mit der Fotografie in den sozialen Netzwerken? Wie würde sie dokumentiert oder auch archiviert, etwa in einem Institut? Und das ist ja interessant zu hören, wie Künstler*innen es selber sehen, wenn sie die Plattform als Veröffentlichung nutzen.

AL

Ja, ich denke, man müsste das dann tatsächlich für sich selbst aufzeichnen. Ich weiß nicht, ob man ein Programm archivieren kann, das sich ständig verändert.

LA

Man müsste alle Versionen dazu abspeichern und auch die dazugehörigen Geräte bereithalten, die das lesen können.

Aus der Kunst- oder Bildbetrachtung kommend stellt sich natürlich generell die Frage: Was genau ist das Werk, woraus besteht es und woran kann man es festmachen? Wo hat das Werk seine Grenzen? Was gehört nicht dazu? Was muss gelesen werden, was nicht? Der Digital Turn liegt jetzt schon einige Zeit zurück, fotografische Praxen haben sich durch ihn verändert, allein wenn du sagst, die Instagram-Arbeit stellt so etwas wie ein Entwurfsstadium oder eine Notiz für eine Arbeit dar – und gleichzeitig ist sie aber schon in der Welt. Daran knüpfen sich viele Fragen an dieses sich ständig verändernde Medium. Vielleicht müssen wir ein bisschen loslassen, weil das Medium es heute zulässt, bestimmte Zustände fluide zu halten. Und da stellt sich die Frage: Was kannst du festhalten? Aber was kann auch institutionell festgehalten werden bzw. was muss überhaupt institutionell festgehalten werden, um einer Arbeit habhaft zu werden?

AL

Ich glaube, dass viele Künstler*innen, die Instagram nicht explizit konzeptuell benutzen, es auch einfach als Werbeplattform sehen. Aber es finden ja auch andere Bilder statt, persönliche Ereignisse, die geteilt werden und so weiter und nicht nur eine Arbeit nach der anderen – oder vielleicht nur das Anteasern von einer Arbeit. Da muss man differenzieren.

LA

Genau, wie kann man Abgrenzungen klar ziehen? Vielleicht ist Instagram, gerade weil es durch diese Fluidität lebt, aber auch kein gutes Beispiel. Man kann etwa hier konkret in der Ausstellung sehen, dass du gemeinsam mit Elisabeth Neudörfl in eine kollaborative Praxis eingestiegen bist und ihr eine Hängung gemeinsam entwickelt habt.1 Wie manifestiert sich da Autor*innenschaft? Man kann nicht unmittelbar identifizieren, von wem welche Bilder sind. Ist der Zustand, wie diese Arbeit gezeigt wird, temporär? Ist sie genau so und nicht anders gemeint? Oder wird sie in anderen Zusammenhängen wieder auseinanderdividiert?

AL

Ich will noch kurz auf das Fluide eingehen, weil ich davon tatsächlich Fan bin. Es wird einem relativ schwer gemacht, weil man in der Fotografie ja etwas definieren muss: ein Format, eine Größe, eine Auflage und so weiter. Aber generell finde ich das Fluide oder etwas offen zu halten gut. Ich mag total, was hier in der Ausstellung entstanden ist: Wir haben das Buch gemacht, aber für die Ausstellung hatten wir die Freiheit, die Arbeit komplett anders zu denken. Wir haben die Arbeit aus diesem Konzept, das wir für das Buch entwickelt hatten, herausgenommen, die Bilder an die Wand gebracht und ausprobiert sie im Block zu hängen.

Ich mag es generell, nicht so festgelegt zu sein und Dinge ausprobieren zu können, auch unabhängig von der Krankenhaus-Arbeit. Die Hängung von der Newsroom-Arbeit wird sich zum Beispiel auch immer verändern, je nachdem, wie viel Platz ich im Raum habe.

In Mannheim waren weniger Bilder zu sehen als in Braunschweig; im Museum Kallmann war es zusammengerückt und etwas komprimierter – eine schöne Ausstellung mit echt coolen Künstler*innen wie Peter Piller, Forensic Architecture oder Harun Farocki zum Beispiel, den ihr schon erwähnt hattet.

Die Freiheit in meiner Praxis, Dinge auszuprobieren oder auch neue Umgangsweisen mit fertigen Arbeiten zu entwickeln, möchte ich eigentlich gerne beibehalten. Dabei fängt es aber auch an komplizierter zu werden. Gerade bei Ankäufen oder wenn Arbeiten in Sammlungen gehen, was für mich ein neues Phänomen in den letzten Jahren geworden ist und wo ich mich auch erstmal noch zurechtfinden muss. Da muss ich mich ja festlegen. Es darf nur diese drei oder fünf Exemplare geben. Ich muss mir überlegen, wie ein Zertifikat aussehen kann. Und das sollte dann im Idealfall für den Rest meiner „Karriere“ so aussehen. Für mich ist das eine Art Trial and Error. Ich tausche mich da natürlich mit befreundeten Künstler*innen aus, die schon weiter sind und mehr Erfahrung haben, und frage, wie die das machen. Es gibt ja keine Standards, die man universell anwenden könnte.

Ich habe mir ja tatsächlich letztens das Internet ausgedruckt und die Interviews von eurer Seite durchgelesen. Ihr habt nämlich sehr schöne PDF-Druckvarianten auf der Webseite. Weil die Interviews ja teilweise zwölf Seiten oder so lang sind, lese ich sie lieber ausgedruckt. Auf jeden Fall hatte ich das Gefühl, dass ich als noch Suchender, wie das on point funktionieren könnte, schon die Tendenz hatte, mir ein paar Sachen rauszupicken, die ich in den verschiedenen Interviews gelesen habe. Das fand ich sehr hilfreich und interessant. Mir ist dabei ein Gedanke gekommen, der vielleicht nicht uninteressant ist: Ihr, die Macher*innen von Lighting the Archive, die Menschen mit den Fragen und dem Überblick, werdet sicher in eurem Projekt an einen Punkt kommen können, wo ihr einen Vorschlag für eine Standardisierung für Methoden des Archivierens machen könntet, wie es für Künstler*innen funktionieren könnte. Eine Blaupause, die man als Grundlage für die eigene Praxis nehmen könnte, um sie dann anzupassen. Das könnte man auch direkt an den Unis verbreiten. Ich habe das Gefühl, wenn man sich nicht schon als Student*in ein gut funktionierendes System aneignet und das nicht akribisch pflegt, kommt man an den Punkt, dem immer hinterherzurennen. Ich würde sagen, mir ist das passiert.

LA

Wie gehst du damit inzwischen um? Wie sortierst du deine Arbeiten, deine Daten, deine Negative und Abzüge?

AL

Ich hab so ein halbfunktionierendes, halb hinkendes System, mit dem ich arbeiten kann, mit dem ich aber alles andere als zufrieden bin.

Der Gedanke, dass ich mich mal um eine vernünftige Archivstruktur kümmern muss, taucht häufig auf, wird aber sofort zur Seite geschoben, weil andere Sachen in dem Moment dringlicher sind und ich einfach keine Zeit und Energie-Ressourcen dafür finde.

Ich habe meine Negative auf viele Ordner und Kodak-Papier-Boxen verteilt. Viele Bilder sind digitalisiert, aber längst nicht alle. Es gibt sehr viele Kontaktabzüge, aber längst nicht zu jedem Film. Es gibt Kartons mit kleineren Arbeitsprints, die nach den jeweiligen Projekten sortiert sind. Aber auch nicht wirklich mit einem einheitlichen System oder in einem einheitlichen Format.

Die ganzen Bilder, die ich digital fotografiere, habe ich auf Festplatten nach Jahren gesammelt. Die Ordnerstruktur ist relativ simpel: Jahr und Monat. Da liegen dann alle Bilder thematisch ungeordnet. Teilweise aus unterschiedlichen Projekten, weil ich eigentlich immer parallel an mehreren Sachen arbeite.

In dem Ordner Juli 2017 sind nicht nur Newsroom, sondern auch Krankenhausbilder drin. Die eigentliche Sortierung findet dann in Lightroom statt. Hier kann ich die Bilder in Gruppen und Ordner zusammenlegen, ich kann sie verschlagworten, bewerten, markieren und Smart Ordner erstellen, ohne dass die Bilder auf dem Datenträger kopiert oder bewegt werden.

Was mich bei meinem jetzigen System vor allem stört, ist, dass ich alles von einem Adobe Programm abhängig mache. Wenn es das mal nicht mehr gibt, muss ich darauf hoffen, dass ich mit der ganzen Metadaten-Infrastruktur auf eine andere Plattform umziehen kann.

Wie gesagt, ich bin noch nicht zufrieden mit meinem Archiv und tue mich deshalb auch schwer, es so zu nennen. Mein System ist noch nicht zu Ende gedacht.

Aber: Ein gutes System und ein gutes Archiv, was so richtig on point und zu Ende gedacht ist, ist ja fast schon ein Luxusgut. Es benötigt viel Zeit oder man braucht einen finanziellen Background, um sich das zu erarbeiten. Ich zum Beispiel kann mir definitiv nicht zwei Assistent*innen leisten, die das alles für mich machen. Ich übertreibe jetzt ein bisschen, aber es passiert ja oft, dass Künstler*innen erst mit dem Archiv anfangen, wenn sie schon etabliert, erfolgreich und ein bisschen älter sind und dann zurückblicken und sagen: Jetzt muss hier mal Ordnung rein.

Wenn man schon im Studium ein gutes System hat, ist das viel Wert. Deswegen fänd ich es total schön, wenn es da eine Art „Lighting the Archive – Anleitung für künstlerische Archive“ geben könnte, als ein Extrakt aus euren Interviews. Ich könnte mir vorstellen, dass, wenn es eine Art Standard für künstlerische Archive gäbe, die Arbeit in Institutionen mit Vor- und Nachlässen oder Ankäufen sehr viel einfacher wäre.

LA

Bisher stellen wir fest, dass es immer sehr individuell und abhängig vom Werk zu sehen ist, wie eine Form der Archivierung aussieht oder aussehen könnte. Zugleich sind die Künstler*innen mit der Realität konfrontiert, dass sie sich in der Aufbereitung ihrer Werke den jeweiligen Standards der Institutionen anpassen müssen, etwa bei Ankäufen.

Newsroom-Editeure etwa ist ja ein fortlaufendes Projekt, so ist es auch auf deiner Homepage dargestellt. Die Arbeit ist also noch gar nicht zum Abschluss gekommen. Du hattest vorab erwähnt, welche Richtung du einschlagen willst. Da blieb das Stichwort ,Absolute Reportage‘ hängen. Viele Fotograf*innen arbeiten in Langzeitprojekten und das zeichnet sich eben auch bei der Newsroom-Arbeit ab. Gegenstand unserer Gespräche ist immer wieder, wie entscheidend eine eigene Dokumentation über die Präsentationsformen geworden ist. Du hast für dieses Gespräch zum Beispiel nicht Prints von einzelnen Arbeiten aus Newsroom-Editeure mitgebracht, sondern Installationsansichten. Diese Dokumentation wirkt schon wie ein eigener Job, der eine immer größere Relevanz hat. Gerade wenn die Arbeiten in der Entwicklung sind, um zu rekonstruieren, wo auf welche Art und Weise sie schon mal gezeigt worden sind. Im Hinblick auf eine Dokumentation, aber auch im Hinblick auf eine mögliche Rekonstruktion, ist das fast ein zweiter Auftrag an die*den Künstler*in oder Fotograf*in.

AL

Ja, auf jeden Fall. Ich sehe es auch so, dass es total wichtig ist, das zu dokumentieren. Gerade wenn die Arbeit auch auf den Raum reagieren soll, dann kann ich immer gucken, was habe ich da gemacht und was kann ich davon vielleicht in den nächsten Raum mitnehmen. Und es stimmt, dass ich jahrelang oder über einen längeren Zeitraum an so einem Thema bin. Oft laufen viele Sachen parallel und ich finde dann gerade etwas spannend und gehe dem nach, während andere Sachen noch laufen. Aber das hat auch damit zu tun, worüber wir eben gesprochen haben. Da ich diesen Gedanken des Fluiden gut finde und angefangen habe, in Werkgruppen zu denken, in Thematiken, denen ich nachgehe. Newsroom-Editeure ist ein Teil von hoffentlich noch weiteren Versuchen, mich an dem journalistischen Bild oder der journalistischen Praxis abzuarbeiten. Ich habe bei der Arbeit tatsächlich gemerkt, dass das, was ich von diesem Thema eigentlich will, in der Form, wie ich gearbeitet habe, überhaupt nicht umsetzbar ist. Ich habe mich ein bisschen gefühlt, als würde ich scheitern – das war natürlich alles interessant, aber ich habe die ganze Zeit gedacht, ich muss eigentlich an vielen Orten gleichzeitig sein, um das Thema wirklich zu greifen. Und das will ich auch noch machen, das ist dann die ,absolute Dokumentation‘: Mit einem Team von Operateur*innen arbeiten, die ich geschickt vorher platziere und zu Fotograf*innen, in verschiedene Bildredaktionen und in Agenturen schicke. Sie sollen dann alle denselben Tag dokumentieren. So kann ich eine ganz andere Zeugenschaft dieser vielen Prozessen vermitteln, die alle ineinandergreifen. Das kann man als einzelne Person einfach nicht leisten. Dafür bräuchte ich natürlich ein gut dotiertes Stipendium, weil das vermutlich teuer wird.

LA

Du brauchst wahrscheinlich nicht nur ein großes Stipendium, sondern auch das Ereignis.

AL

Ja, aber das würde ja bei G20 funktionieren oder auch beim nächsten Klimagipfel, der bestimmt kommen wird.

Footnotes

  • 1Im Krankenhaus: Ludwig Kuffer, Andreas Langfeld, Elisabeth Neudörfl, Museum Folkwang Essen, 30.7.–7.11.2021.