Du hast jüngst deinen Vorlass dem Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg übergeben. Kannst du kurz skizzieren, wie es dazu kam und wie eine solche Vorlassverwaltung angegangen wird?
Ausgangspunkt war die Ausstellung Fotografie neu ordnen.1 Das Konzept bestand aus dem Zusammenspiel von Exponaten aus der Sammlung des Museums und entsprechenden Motiven von mir. Dadurch habe ich einen tieferen Einblick in die Sammlung bekommen, und die Kuratorin, Dr. Esther Ruelfs, erhielt einen Überblick meiner Arbeit. Durch die Zusammenarbeit an dieser Ausstellung wurde mir klar, dass dieses Museum für meine Arbeiten der richtige Platz ist. Das Haus ist eine Schatztruhe, gefüllt mit Dingen, die mich interessieren und mit denen ich vertraut bin: Grafikdesign, Plakate, Mode, Instrumente, Kunsthandwerk und so weiter, also nicht allein die Kunst. In meinem Leben habe ich auch viel mit Design zu tun gehabt. Die Dinge und die Fotos kommen dort zusammen. Das ist eine gute Kombination. Daher habe ich den Vorschlag gemacht, mein Werk dem Museum zu übergeben. Dann bekam ich eines Tages die Nachricht von der Direktorin des MK&G, Frau Prof. Tulga Beyerle, das Museum würde den Vorlass gerne übernehmen. Zu meiner Überraschung hat dann die Stiftung Hamburger Kunstsammlungen ein ausgesuchtes Konvolut von Prints angekauft und dem MK&G als Dauerleihgabe für die fotografische Sammlung übergeben.
Was ist/war dir persönlich wichtig und was dem Museum? In der Pressemeldung heißt es: „bestehend aus ca. 10 000 Diapositiven, zugehörigen Druckbelegen, Briefen und Dokumenten …“ – habt Ihr eine gemeinsame Auswahl getroffen oder gab es Bedingungen von dir oder dem Museum?
Wir haben ohne Bedingungen eine gemeinsame Auswahl getroffen.
Ist ausschließlich dein analoges Archiv in das Museum übergegangen? Du fotografierst seit 2007 digital, hast du auch diese digitalen Daten – oder Teile davon – zur Verfügung gestellt?
Bisher befindet sich ausschließlich das analoge Archiv im Museum.
Wie ist dein Archiv organisiert? Kannst du es kurz skizzieren? Und wurde deine Struktur, deine Systematik vom Museum für Kunst und Gewerbe übernommen oder hast du Anpassungen vorgenommen, damit sich die Archivar*innen, Kurator*innen und Restaurator*innen des Museum darin gut zurechtfinden und es ihren Standards entsprechend ablegen können?
Die originalen Diapositive sind in Hängeregistern geordnet und mit einem Computer vernetzt. In dem Computersystem sind alle vorhandenen Daten gespeichert. Dadurch ist es möglich, jedes Motiv und alle dazugehörigen Informationen, zum Beispiel auch die Druckbelege zu den Auftragsarbeiten, zu finden.
Musstest du dich um die Archivaufbereitung vor der Übergabe selbstständig kümmern oder gab es dafür bereits Unterstützung seitens des Museums?
Wir hatten diese Arbeit bereits vorher mit kompetenter Hilfe abgeschlossen. Dieser Prozess dauerte mehr als ein Jahr. Dabei wurden die Original-Diapositive in neues archivfestes Material in Hängeregister einsortiert.
Gibt es in deinem Archiv Dinge, die du selbst als „besonders“ bezeichnen würdest? Etwa Vermerke zu fotografischen Verfahren oder die Dokumentation von Prozessen der Bildfindung, Korrespondenzen mit besonderen Auftraggebern et cetera?
Ja, denn ich habe nicht nur die Diapositive, Negative und Prints, sondern auch Polaroids und Aufbauskizzen aufgehoben. Wir haben im Atelier die Arbeitsprozesse genau vermessen und aufgezeichnet. Die Brennweite, die Blende, die Filter, das Filmmaterial, Belichtungswerte, kurz: alles, was hinter einer Aufnahme steht. Dazu die Polaroids, Druckbelege von Anzeigen, Plakaten, Katalogen, Broschüren, Buchveröffentlichungen, einschließlich der Korrespondenz, Notizen, Kritiken und so weiter. Alles zusammen ist das etwas, womit man jetzt recherchieren und arbeiten kann. Damit ist auch eine große Zeitspanne dokumentiert. Während dieser Zeit hat sich das Medium stark verändert. Deshalb habe ich immer vieles aufgehoben, weil ich der Ansicht war, dass durch die Entwicklung der neuen Technik das alte Medium zunehmend verschwinden würde.
Du hast bereits im Jahr 2018 einen Einblick in das Fotoarchiv des Museums für Kunst und Gewerbe gewonnen, indem du für die von dir schon erwähnte Ausstellung Fotografie neu ordnen Arbeiten aus der fotografischen Sammlung des Museums mit deinen eigenen Werken kombiniert hast. Würdest du sagen, dass es im Gegensatz zu den dort archivierten historischen Fotografien gewerblicher Fotograf*innen einen fundamentalen Unterschied zu deiner Form der Archivierung gibt? Denn unserem Verständnis nach arbeitest du von Beginn an mit einem starken Sinn für das – freistehende – Einzelbild. Daraus ergibt sich vielleicht ein Archiv, in dem der gewerbliche Fotograf gar nicht so vordergründig durchscheint wie in anderen Archiven gewerblicher Fotografen.
Einen gravierenden Unterschied konnte ich nicht feststellen.
Sind mit der Übernahme auch öffentlichkeitswirksame Aktivitäten wie Ausstellungen oder Publikationen verbunden?
Nein, im Moment nicht.
Wie fühlt es sich für dich an, jetzt, wo deine Arbeit ins Museum transportiert wurde und dein Atelier plötzlich leer ist? Wie wird es sich mit anschließend entstehenden Arbeiten von dir verhalten – gehen die dann automatisch ins Museum über?
Noch ist mein Atelier nicht leer und da ich weiterarbeite, ist die Frage über den Verbleib der digitalen Arbeiten bisher ungeklärt.
Das Bundesinstitut für Fotografie rückt weiter in die Nähe mit der jüngst veröffentlichten Machbarkeitsstudie, die den Standort Essen stützt.2 Was denkst du grundsätzlich zu einem solchen zentralen Institut?
Ein solches Institut zu gründen, finde ich sehr gut. Aber ich würde es nicht gut finden, wenn es sich auf die Kunst beschränkt. Jetzt gibt es die Chance, ein Institut zu planen, in dem das Medium Fotografie in allen Facetten umfassend abgebildet und bewahrt wird, das Recherchemöglichkeiten eröffnet sowie Vernetzungen zentriert, Forschung fördert und alles zugänglich macht. Das Medium selbst ist ja bereits eine eigene Position durch die Technik, die Printverfahren, das Archivieren, Restaurieren, Digitalisieren, die Chemie. Auch die Ökologie sollte in dem Zusammenhang eine Rolle spielen. Für mich steht daher an erster Stelle die Frage: Was soll das für ein Institut sein?
Würdest du dir eine netzwerkartige Verbindung und einen Austausch zwischen dem zentralen Institut und den nachlassverwaltenden Museen/Institutionen wünschen?
Ja, natürlich.
Gibt es Dinge, die du dir von einem Bundesinstitut für Fotografie wünschen würdest, die über die Aufnahme und Verwaltung von Vor- oder Nachlässen hinausgeht? In einem ersten Gespräch unterhielten wir uns zum Beispiel darüber, ob es sinnvoll sein kann, die Technikgeschichte des Mediums zu erzählen.
Da die analoge Fotografie zu verschwinden droht, wäre es von Bedeutung, das damit verbundene Wissen zu bewahren, um es weiter vermitteln zu können. Das Gleiche gilt für die Zukunft, denn niemand weiß heute, wohin sich das Medium entwickeln wird.
Gibt es eine*n übersehene*n Fotografin*en, deren*dessen Werk du als unbedingt schützenwert ansiehst und das aus deiner Sicht in ein Institut oder Museum aufgenommen werden müsste?
Den oder die kenne ich nicht, aber sie gibt es. Sie sind in der Regel anonym und ihre Fotos haben keinen Wert für die Allgemeinheit. Wenn man allerdings Menschen, die alles verloren haben, fragt, was sie am meisten vermissen, bekommt man oft zur Antwort: Die Familienfotos!