Peter Piller
Bilder sind ja gerade nicht die anderen Texte, sondern ganz anders als Texte. Ich interessiere mich für das Bild, das ein Eigenleben führen darf.

PP

Neulich habe ich über einen 80-jährigen Künstler gelesen, der gesagt hat: Im Grunde sortiere ich nur noch aus, entscheide, was bedeutsam ist und was gut wäre, dass es nach mir vergessen wird. Ab einem gewissen Alter macht das Sinn. Aber im Moment ,mache‘ ich lieber, als dass ich darüber nachdenke, ob das, was ich mache, tolle Großkunst oder lächerlicher Kram ist. Übrigens: Alle guten Künstlerinnen und Künstler machen sowohl Großkunst wie auch lächerlichen Mist. Kaum ein Mensch hinterlässt nur Großkunst. Deshalb finde ich es unsinnig zu sagen, man sammelt alles und hält alles ewig bereit. Ich würde das von mir selbst lieber nicht wollen.

LA

Die Frage ist ja, wer am Ende der- oder diejenige ist, der*die dann darüber befindet, was erhaltenswert ist.

PP

Es ist schön, wenn jemand noch Gelegenheit hat, selbst darüber nachzudenken. Aber es wird ja nicht jeder Mensch alt und manche Leute haben nicht mehr die Möglichkeit zu sortieren. In meinem Fall wäre es nicht schön, wenn mein 18-jähriger Sohn jetzt die Instanz wäre. Aber ich würde auch nicht wollen, dass eine Galerie die Instanz ist, die fragt: Was ist etwas wert und was ist weniger wert? Am liebsten wäre es mir, die Instanz wären Produzenten und Produzentinnen, also Kollegen und Kolleginnen, die wirklich vom Fach sind.

LA

Gehen wir mal zu deiner Ausstellung bei Capitain Petzel 2019.1 Zentral in der dort zu hörenden Soundarbeit war das Wort Geduld. Ist dies nicht ein Wort, das eng mit deiner Praxis verknüpft ist?

 

PP

Das ist auf jeden Fall richtig.

LA

Du bist jemand, der in der Vergangenheit in Archive interveniert hat. Das geduldige Suchen war wahrscheinlich ein großer Teil dieser Arbeit. Du erzähltest auch einmal, dass das Warten entscheidender Teil deiner Arbeit ist – bis das Bild kommt, das du gesucht hast.

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PP

Es ist richtig, dass Geduld für mich ein Schlüsselbegriff ist. Rolf Dieter Brinkmann schrieb in einem seiner Texte, dass nicht das, was er schreibt, sondern das Schreiben an sich die Widerstandsform ist. Also gegen den Lärm der Welt da draußen und gegen dieses Alles-verwerten-müssen. Die eigentliche Widerstandshandlung ist das Tun, also das zweckfreie Tun. Und Geduld ist heutzutage auch eine Art von Widerstand. Wenn du geduldig bist, dann leistest du Widerstand in der Kultur der Ungeduld. Oder du versuchst, zu dir selbst zu finden durch Geduld. Klar habe ich eine Galerie, die an mir zieht und sagt: „Unser Ausstellungstermin rückt näher“ – oder die Institution, der ich etwas zugesagt habe. Oder ich ziehe an mir selbst mit meinen ganzen Erwartungen. Immer zieht irgendetwas an dir und immer musst du sagen: Nein, ich will aber nicht, ich will lieber in Ruhe gelassen werden und erst mal gucken, was ich machen will. Weil: Nur so geht’s. Da ist immer dieser Widerstreit zwischen etwas verwerten wollen und eigentlich gar nichts verwerten wollen. Und da spielt Geduld eine Rolle. Denn es gibt bei mir ein tiefes Unbehagen gegenüber der Kultur, in der ich lebe, wie die ihre eigenen Erzeugnisse verwertet und verhandelt. Aber ich kann selbst etwas dafür tun, dass ich so lebe, wie ich leben möchte. Oder ich muss etwas dafür tun, weil ich sonst durchdrehe. Sonst stehe ich nämlich irgendwann da, so wie Rolf Dieter Brinkmann in einem verstörenden Tondokument, das ich neulich gehört habe, wo er so verzweifelt ist, dass er auf einem Acker neben Köln am Stadtrand entlangläuft und den schmutzig gelben Himmel anschimpft, den Scheißhimmel – vor lauter Verzweiflung über die Kultur, in der er lebt. Da muss man aufpassen, dass man da nicht hinkommt.

Und wenn ich an dieses Fotoinstitut denke, um jetzt den Bogen dahin zu spannen, dann denke ich mir: Was motiviert die Gesellschaft zu sagen, die Fotografie ist jetzt bewahrenswert? Ist das die Liebe zur Kunst oder ist das der Zeigefinger darauf, dass Deutschland ein Standort für vermarktbare Fotografie ist oder für einen vermarktbaren Umgang mit Kunst? Man muss sich fragen, was für Interessen dahinterstehen. Künstlerischer Umgang mit Fotografie ist mehr als das, was Spitzenpreise erzielt. Sondern in der ganzen Breite eine Art von Praxis, die zunächst nichts mit Verwertungsinteressen zu tun hat.

LA

Wenn man diese Frage politisch beantworten will, könnte man sagen: Haben wir nicht vielmehr das Glück, dass Künstler*innen, die mit dem Medium Fotografie umgehen, inzwischen eine solche Akzeptanz, eine solche Bedeutsamkeit erleben, dass ihre Arbeit bewahrt werden sollte? Wird mit einem Institut nicht gerade verhindert, dass diese Arbeiten auf dem freien Markt landen und Konvolute zerpflückt werden? Den geduldsamen Weg einer Künstlerin zu rekonstruieren, wäre dann vielleicht nicht mehr möglich. Das Institut könnte also die Vorstellung begleiten, dass dort Konvolute eingehen, die es möglich machen, Forschungsfragen an das Medium oder an den Gebrauch des Mediums zu stellen – auf der Folie derjenigen, die Bedeutsames geschaffen habe.

PP

Ja, auf jeden Fall.

LA

Du hast mit deiner Professur in Düsseldorf die Nachfolge von Andreas Gursky angetreten. Schärft das den Blick auf die Institutsfrage oder fühlst du dich herausgefordert, dazu Stellung zu beziehen?

PP

Bei aller Wertschätzung für Andreas Gursky: Ich sehe mich nicht als seinen Nachfolger und kann mir auch nicht vorstellen, dass er so auf mich blickt. Denn ich verkörpere als Person und mit meiner Arbeit etwas ganz anderes. Wenn die Akademie in Düsseldorf einen Nachfolger gesucht hätte, hätte sie sich für jemand anderen entschieden.

LA

Dann bleiben wir zunächst bei deiner Arbeit. Sie entzieht sich oftmals der Lesbarkeit. Sie folgt gerade nicht bestimmten Logiken des Bildermachens.

PP

Stimmt. Im Grunde habe ich damals, als ich mit Archiven gearbeitet habe, das rausgesammelt, was sich dem Archiv und Ordnungskriterien widersetzt oder Auskunft verweigert. Bilder also, die eigenständig sind, eigensinnige, manchmal in sich widersprüchliche, manchmal auch absurd komische Gestalten. Das ist etwas, was mich mein Leben lang interessiert.

LA

Du hast dir immer wieder Archive angeeignet und mit eigenen Zuordnungen gearbeitet. Vielleicht kannst du von dem Moment erzählen, an dem dir aufgefallen ist: Hier gibt es eine Bildkultur, die bestimmten Gesetzmäßigkeiten gehorcht, sich aber der Sichtbarkeit entzieht. Dort setzt du ja mit deiner Arbeit an. Im Herauszulösen und Neu- Zusammenzustellen.

PP

Man muss das von zwei Seiten betrachten: Einerseits saß ich Ende der 1990er-Jahre als Student bei der Mediaagentur Carat im Archiv und bekam diese ganzen Zeitungsfotos in die Hand, tonnenweise Regionalzeitungen. Ich habe mir die Bilder angeschaut, die im Zusammenhang mit dem kleinstädtischen Alltagsleben gemacht wurden. Ich stellte fest: Die sehen sich ja alle ähnlich. Aber es gibt niemanden, der vorschreibt, wie die Bilder auszusehen haben. Und trotzdem sehen die alle so aus. Also gibt es so etwas wie einen geheimen Code, der ausgesendet wird – nein, der offenbar empfangen wird. Es gibt eine Art von kollektivem Einverständnis über eine bestimmte Bildkultur und damit auch ein Einverständnis darüber, wie Bilder nicht auszusehen haben. Ich habe erst versucht, diesen Umstand zu beweisen. Dadurch, dass ich das Material aufgesammelt habe. Das Finden von Titeln ist dann immer auch ein Kommentieren gewesen. Andererseits lasse ich mir seither nicht mehr gefallen, eine Art von Fotografie interessant finden zu müssen, in der alles schon erklärt und sichtbar ist. Sondern ich interessiere mich für das genaue Gegenteil. Ich interessiere mich für das Bild, das ein Eigenleben führen darf. Oder für das Bild, dass ein Missverständnis hervorruft. Wir leben heute in einer Kultur von Alles-verstehen-und-erklären-können. Unsere Kultur ist zunehmend nicht mehr in der Lage, etwas unbeantwortet stehen zu lassen. Und bei Bildern drückt sich das besonders stark aus. Da wird unmittelbar gefragt, was ist da drauf, was bildet das ab. Aber sobald da etwas störend ist oder erst auf den zweiten oder dritten, aufmerksameren und geduldigeren Blick überhaupt sichtbar, wird das Bild ungültig. Und ich will behaupten: Bilder sind ja gerade nicht die anderen Texte, sondern ganz anders als Texte. Für diese Störbilder interessierte ich mich immer mehr. Also für alles, was in ein Archiv kommt, aber gar nicht da beheimatet sein darf. Mein Idealfall ist ja der, etwas zu finden, was andere übersehen haben, und das noch mal hervorzuholen. Das ist immer ein schöner Moment. Jemand geht weg und dann liegt da etwas eine Weile unbeachtet – und dann sieht man ein zweites Mal hin, greift nochmal zu und merkt, da ist ja was. Mich interessieren also diese ganzen Irrläufer, die Bilder, die nicht auf den ersten Blick zu enträtseln sind. Ich halte nach leeren Bildern oder nach uneindeutigen Bildern Ausschau.

LA

Ist das Arbeiten mit Bildern aus dem Archiv auch eine Entscheidung, kein eigenes Bild zu machen?

PP

Das ist oft so aufgefasst und dauernd so beschrieben worden, stimmt aber nicht. Ich habe immer auch selbst fotografiert. Ich habe die eigenen Bilder nur lange zurückgehalten und bin auch heute noch vorsichtig damit. Ich habe zum Beispiel gerade wieder eine Peripheriewanderung abgeschlossen und Bremen umwandert. Dazu habe ich auch 20 Zeichnungen gemacht. Und die 500 Fotos, die ich währenddessen gemacht habe, dampfe ich gerade auf die ungefähr 30 Besten zusammen, die dann irgendwann die Arbeit werden. Die anderen wird wahrscheinlich nie irgendjemand sehen.

LA

Kommt halt darauf an, wie du es definierst. Die sind ja da.

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PP

Solange ich lebe, würde ich gerne immer nochmal darauf gucken können.

Manche Wege in Sackgassen werden einem ja richtig vertraute Strecken. Aber wenn ich mal nicht mehr bin, wäre mir lieber, die wären weg – und die 30, die ich definiert habe, sind die, die für sich sprechen. Ich habe zumindest zu meiner eigenen Arbeit das Gefühl, es muss nicht alles, was ich ausprobiert habe, bis in alle Ewigkeit verfügbar sein. Klar ist es für Forschende gut, wenn sie etwas herleiten können. Aber ich will das gar nicht. Dadurch, dass ich so viele Bilder anhäufe und selber mit Ordnung-Machen beschäftigt bin, möchte ich nicht auch noch ein Plus an Unordnung hinterlassen. Denn es ist ja meine Aufgabe, Entscheidungen zu treffen und zu sagen, das ist es und das ist es nicht.

Guckt mal, da stehen ein paar Meter Literatur zur Höhlenmalerei, das ist ein Thema, das mich zunehmend beschäftigt.

Die habe ich neulich nochmal alle durchgeguckt und bei den interessanten Bildern Post-its reingeklebt, ungefähr 500. Ich habe die alle abfotografiert und in meinem Rechner in einem Ordner abgelegt, der heißt so ähnlich wie „aus Büchern“. Aber es geht nicht um diese Bilder, sondern es geht um die Bilder, die nach dem Arbeitsprozess, den ich durchlaufe, entstehen. Zeichnungen, die ich zum Beispiel nach diesen Fotos mache. Es geht also nicht um die Fotos selber. Und selbst wenn es um eines der Fotos geht, dann geht es vor allem um die Frage: Auf welchem Papier drucke ich das? In welcher Größe? Hänge ich das gerahmt oder ungerahmt? Neben dieses oder jenes Bild? Das sind die Sachen, die wichtig sind: Die Entscheidung für Materialität, Größe und Nachbarschaft. Deshalb will ich nicht, dass ein Doktorand oder eine Doktorandin eines Tages, nachdem ich schon verblichen bin, die übrigen 500 Bilder als gleichwertig betrachtet.

LA

Nochmal zurück zu deinem Umgang mit gewerblichen Archiven, gewissermaßen deiner eigenen künstlerischen Frühzeit. Wie gehst du mit der Masse um, die irgendjemand in ein Archiv gegossen und organisiert hat und die du mit deinem spezifischen Herausfischen umlenkst? Orientierst du dich an Ähnlichkeiten in den Bildern oder an Bildunterschriften, an einer Textbegleitung zu den Bildern?

PP

Das ist nicht eindeutig zu beantworten. Ich bin heute ein anderer Mensch als der, der ich vor 25 Jahren war, als ich bei Carat saß und Zeitungsfotos angeguckt habe. Ich habe inzwischen so viel mehr gesehen an Kunst. Ich habe so viele Erfahrungen gemacht im Umgang mit Bildern. Damals war ich darauf konzentriert zu gucken, ob so ein Bild zum Beispiel Humor hat. Ich hatte viel weniger Mut zum langweiligen Bild. Das habe ich hinzugewonnen. Ich war viel weniger entschieden. Heute bin ich radikal privat. Heute bin ich radikal an der Erforschung meines individuellen Umgangs mit Bildern interessiert. Ich möchte, dass vor allem mir das etwas bedeutet, was ich tue. Ich möchte ein Bild anschauen und richtig was erleben. Ich möchte wissen, wofür ich diesen Quatschberuf ergriffen habe. In meinem fortgeschrittenen Alter möchte ich das die ganze Zeit spüren dürfen. Das ist mir das Allerwichtigste. Und das ist auch das einzige, was ich weitergeben kann. Was ich sagen will: Ich guck jetzt anders drauf, ich habe heute andere Kriterien, ich halte heute viel mehr aus als früher.

LA

Nennen wir es mal die Freiheit im Tun. Dann anders gefragt: Wenn du dir die Freiheit erhalten willst, ein vordergründig nichtssagendes Bild als bedeutsam herauszustellen, gelingt dir das dann durch ein Abstreifen von Konventionen, wie man Bilder zu betrachten hat – das wäre die eine Möglichkeit –, oder gelingt es dir, indem du einen starken konzeptionellen Zusammenhalt unter den Bildern herstellst?

PP

Früher habe ich viel schneller Begriffe gefunden für das, was ich tue. Und habe versucht, Kategorien zu bilden, um die Dinge benennbar zu machen. Und heute lege ich viele Sachen einfach nebeneinander und guck mir die an. Heute geht es mir mehr um Erspüren als um Denken. Man will sich ja auch mal von sich selbst wegbewegen. Ich bin damals mit diesen Zeitungsbildern, mit diesem ganzen Archivkram, auch auf eine Art bekannt geworden. Und dann war ich plötzlich diese Type, „Ordnungsmacht“ ist mal halb im Spaß geschrieben worden. Aber ich will ja nicht ein Leben lang diese Type sein. Ich will gleichzeitig auch jemand anderer sein dürfen.

LA

Jetzt wird auch klar, warum die letzte Aktualisierung deiner Website 2013 erfolgte. Diese Information ist ein interessantes Detail an der Seite. Denn sie macht Fragen auf. Ist diese Arbeit abgeschlossen? Oder lassen sich aktuelle Arbeiten nicht mehr in das System einspeisen? Denn dort sind ja nicht nur bestimmte Bildkonvolute abgelegt , unter den bekannten Kategorien/Titeln. Sondern es gibt auch eine Stichwortsammlung, die nicht anklickbar ist. Hier kann man vermuten, dass das Themen sind, die für dich interessant sind oder von denen es Sammlungen gibt, die noch nicht fertig sind. Hat die Website die Funktion, auch ein Archiv zu sein? Und wenn ja, wie kommt dann dieser Cut 2013 da rein?

PP

Am Anfang hatte sie tatsächlich die Funktion, das, was ich tue, in diese Form zu übersetzen und so die Arbeit für andere Leute zugänglich zu machen. Und etwa 2013 funktionierte es nicht mehr für mich. Die Sachen ließen sich nicht mehr sinnvoll in das Schema einordnen. Aber noch viel stärker war, dass ich keine Lust mehr hatte. Da geht viel zu viel Energie rein. Und es ist auch so, dass sich die Website vor das Werk schiebt. Oder dass der Instagram-Account heute wahrnehmbarer ist als das tatsächliche Werk. Und genau das will ich überhaupt nicht. Deswegen habe ich um das Jahr 2013 Abschied davon genommen. Meine Homepage sagt einfach: Ich bin raus, Leute. Die sagt, seit 2013 interessiert mich das nicht mehr. Aber ich zeige gerne noch, wie das damals mal war. Die Website sieht ja auch aus wie eine Homepage aus den Nullerjahren. Die steht da jetzt als schöne Ruine im Abendlicht.

LA

Oder als Archiv.

PP

Oder als Archiv. Sie bildet etwas aus einer bestimmten Zeit ab. Ich zahle jedes Jahr 60 Euro dafür, dass das Ding da in unattraktiver Umgebung rumsteht, und lasse es auch gerne so stehen, das hatte ja damals seine Gültigkeit. Ich könnte das, was mich heute interessiert, gar nicht in so ein Medium übersetzen. Und wenn, dann wär’s eine eigene Arbeit.

LA

Vieles, was dort zu sehen ist, hast du aber ja auch in Künstlerbücher gegossen.

PP

Ja, und das eigentlich auch in einer schöneren Form. Nur gibt es halt zu vielen Sammelgebieten, die auf der Website sind, keine Bücher. Und diese Systematik der Website kannst du mit den Büchern nicht sehen.

LA

Das heißt, es gibt einen Bruch in deiner Praxis. Existiert jenseits der Bücher und der Website noch Material, zusätzlich zu den Werken?

PP

Ja. Es existieren sehr viel mehr Zeitungsfotos, als ich publiziert oder ausgestellt habe, in einer Art archiviert, dass sie nicht sofort kaputtgehen.

LA

Als Negative oder als Abzüge?

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PP

Als Clippings. Aber ich habe das Zeug seit zehn Jahren nicht mehr angefasst, das ist da hinten in der Rumpelkammer in einem Metallschrank. Ich gehe da nicht dran. Es ist für mich ein abgeschlossener Teil meiner Praxis. Aber ich kann das Material auch nicht wegschmeißen.

LA

Ist das Material da gut aufgehoben?

PP

Für den Moment schon.

LA

Du hast im Hinblick auf das Fotoinstitut gesagt, dass du dich einem bestimmten Marktinteresse nicht verbunden siehst. Dabei klingt die Vorstellung durch, als wäre schon klar, wer in so einem Institut aufgenommen wird. Aber das ist ja noch gar nicht definiert.

PP

Das ist die Frage: Wer definiert das überhaupt?

LA

Wenn ein Werk im Markt einen bestimmten Wert erreicht hat, ist das ja ein Garant dafür, dass die Arbeit geschützt wird. Deshalb könnte man annehmen, dass es in einem Institut für Fotografie um mehr gehen muss als darum, die bekanntesten Werke der erfolgreichsten Künstler*innen zu sichern. Wie etwa – Institut hin oder her – kann gewährleistet werden, dass die Vielschichtigkeit deiner Arbeiten und Arbeitsweisen erhalten bleiben kann?

PP

Ich habe in der Verwertung meiner Arbeit zum Beispiel gemerkt, dass die Leute sich – um darauf nochmals zurückzukommen – nur noch über die Homepage informieren, und das stört mich.

LA

Ein Statement von Beate Gütschow, die wir interviewt haben, brachte es auf den Punkt: Wenn ein Institut ein Werk gut digital aufbereitet, wird die Arbeit auch davor geschützt, dass Google immer nur die gleichen Informationen auswirft. Und wenn von einer ganzen Bandbreite fotografisch arbeitender Künstler*innen ganze Konvolute digital zugänglich wären, erhöht sich die Chance, dass du etwas anderes findest als die üblichen Ergebnisse.

PP

Ich finde wichtig, dass man fragt: Welchen Interessen dient das? Ich habe bei dem Fotoinstitut den Vorbehalt, dass es vorrangig dem Interesse dient, eine bestimmte Art erfolgreicher Fotografie zu repräsentieren. Und Grenzbereiche, Randbereiche auszusparen. Als ich gelesen habe, dass nur 30 Nachlässe aufgenommen werden sollen … Selbst wenn ich das Glück hätte, einer von den 30 zu sein, würde ich gar nicht dabei sein wollen, weil ich das idiotisch finde. Das geht überhaupt nicht. Es müssen eher 3000 sein. Denn gerade die Randbereiche sind ja interessant. So ein Institut muss doch die Aufgabe haben, Dinge zu bewahren, die eben nicht institutionalisiert sind.

LA

Kann das Institut es leisten, die Geschichte der fotografischen Kunst zum Beispiel ab den 1970er-Jahren abzubilden, und wenn ja, wie tut es das? Was ist da zentral? Natürlich sind dann die Bechers und die Becherschule zentral. Sie gehören mit zur Rezeptionsgeschichte der Fotokunst in Deutschland.

PP

Eben. Aber parallel dazu ist noch so viel Interessantes geschehen, was der Markt nicht aufgenommen hat und was genauso bewahrenswert ist – ohne dass man das andere dadurch kleiner machen muss. Ich habe die Befürchtung, dass am Ende nur die Becherschule übrig bleibt, und das würde ich sehr problematisch finden. Wenn das Institut einen gesellschaftlichen Nutzen haben soll, auf was guckt man da? Ist es für die Leute, die das Geld geben – und so auch für die, deren Stiftungsgelder da vielleicht reinfließen – und die deshalb Entscheidungen treffen dürfen? Haben die überhaupt eine Ahnung davon, dass es vielleicht interessante Kunst gibt oder andere bewahrenswerte Dinge, die sich auf dem Markt nicht international durchgesetzt haben? Hat man den Mut, so etwas auch zu archivieren oder so etwas wertzuschätzen? Das wäre wichtig. Es müssen jetzt nicht nur Künstlerinnen und Künstler sein, die auswählen. Es können ja auch Kuratoren und Kuratorinnen sein, die ein Gespür dafür haben. Gelder kannst du für so ein Projekt wahrscheinlich nur dann einwerben, wenn du auf dem Markt erfolgreiche Künstler ins Zentrum rückst. Wenn das wirklich nur 30 sind, dann kommt da keine Randposition mehr ins Spiel. Also, aus so einer Diskussion wäre ich raus, die würde ich nicht führen wollen. Das würde mich als Projekt nicht interessieren und ist trotzdem natürlich besser als gar kein Archiv.

LA

Vielleicht ist auch eine Frage, ob es tatsächlich ein Institut braucht, das sich nur um die Belange der Fotografie kümmert. Wir könnten ja auch zu dem Schluss kommen zu sagen: Jetzt haben die Künstler*innen, die mit dem Medium umgehen, so lange daran gearbeitet, endlich im Kontext Kunst anzukommen – und schon gibt es wieder so eine Fixierung auf das Medium.


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PP

Ja, das ist auch eine wichtige Frage. Aber was geschieht dann mit den Fotos? Wird da nur etwas bewahrt? Oder werden auch Signale in die Gesellschaft gesendet? Wird da auch was ausgestellt oder publiziert? Das ist die nächste Frage.

LA

So wie wir die Konzeption verstanden haben, geht es zunächst einmal darum, Dinge aufzunehmen, die im musealen Kontext keinen Platz finden, einerseits. Und andererseits darum, einen Raum der Forschung zu öffnen. Die Gruppe rund um Thomas Weski schlägt Kabinettausstellungen vor, um Forschungsergebnisse vorstellen zu können.2 Die Gruppe um Andreas Gursky stellt sich einen größeren Ausstellungsraum vor.3

Deine Werke befinden sich ja in verschiedenen Sammlungszusammenhängen. Hast du das Gefühl, dass sie dort gut aufgehoben sind? Hast du etwa Berührung gehabt mit Restaurator*innen beziehungsweise hast du den Eindruck, dass deine Arbeiten gut geschützt sind?

PP

Ja, ich guck mir das schon persönlich an. Das Museum Winterthur hat 2014, als ich dort eine große Ausstellung hatte,4 156 Luftbilder angekauft und in die Sammlung aufgenommen, gerahmt. Das heißt, die sind jetzt da für die Ewigkeit in einem Schweizer Stollen. Das ist für mich ein gutes Gefühl, dass diese Arbeit – so wie sie gemeint ist – in einem guten Zustand bewahrt wird, weit über meinen Tod hinaus. Das macht mich glücklich. Und ganz praktisch, jetzt in Bremen, wo ich die Ausstellung in ein paar Wochen haben werde,5 konnten wir diese Arbeit ausleihen, dann hängen die da alle. 156 Bilder mal eben zu rahmen – das hätte kein Ausstellungshaus finanzieren können. Ihr wisst ja, wie die Ausstellungsetats sind. Hier in der Kunsthalle [Hamburg] liegt ein größeres Konvolut von Ungeklärte Fälle aus dem Zeitungsarchiv. Darüber bin ich auch glücklich. Aber ich bin einer unter Vielen. Ich habe nicht das Ego zu denken, dass alles, was ich gemacht habe, bis in alle Ewigkeit in den Salzstock muss. Also ernsthaft, das finde ich verkehrt. Ich finde es auch verkehrt, so drauf zu sein. Denn: Was könnte der Gebrauchswert von so etwas sein? Wann hat jemand wirklich etwas davon, sich vielleicht in 50 oder 150 Jahren anzuschauen, was ich vor zehn Jahren gemacht habe? Ich finde es wichtiger, darauf zu achten, die schlimmsten Fehler jetzt zu verhindern. Ich lasse die Sachen ja lange liegen. Und wenn die nach fünf Jahren immer noch nicht eine Form von Bearbeitung erfahren haben, dann trenne ich mich auch wieder von Material. Dann möchte ich nicht, dass das bis in alle Ewigkeit nur rumliegt. Und ich will auch nicht, dass das nach meinem Tod noch besprochen wird, so, als sei es eine Arbeit geworden, nur weil ich nicht mehr den Finger heben und sagen kann: Da bin ich aber leider dran gescheitert.

LA

Ein Institut könnte sich ja nicht nur der Aufgabe annehmen zu bewahren, was fotohistorisch oder kulturhistorisch bedeutsam ist, sondern es könnte ja auch ein Forschungsraum sein, um die technischen Eigenheiten des Mediums genauer zu erforschen. Um sich Wissen anzueignen, wie das Material behandelt werden muss.

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PP

Ich gehe diese ganzen Entwicklungen ja auch ein Stück weit mit. Also, ich drucke jetzt auch auf einem anderen Papier als damals und nutze ganz andere Möglichkeiten. Klar wäre es schön, wenn man das auch abbilden könnte. Trotzdem glaube ich, dass es ein Fehler wäre, wenn das rein fotografische Arbeiten ein Kriterium für die Aufnahme wäre. Ich unterrichte jetzt seit 16, 17 Jahren an Kunsthochschulen und die Anteile von Leuten, die im Fachbereich nur fotografisch arbeiten, werden immer kleiner und kleiner. Alle machen auch Installationen, zeichnen, sammeln Bilder … arbeiten in irgendeiner Form mit Material. Das ist so bunt geworden in den letzten 20 Jahren und das wird sich fortsetzen. Dieses nur Fotografische verengt den Blick. Wenn man ein Institut gründet, dann muss das Kriterium für die Aufnahme sein – also neben der Qualität –, dass die Person auch fotografisch arbeitet und nicht, dass sie nur fotografisch arbeitet. Wenn ein Institut meine Arbeit für Wert befinden würde, sie zu bewahren, und sich meinetwegen für eine Peripheriewanderung interessiert, dann würde ich schon schön finden, wenn da auch die Mappe mit den 20 Zeichnungen landen würde, weil die einfach zur Arbeit gehört. Also, so eine Offenheit muss sein. Denn das ist im Moment das Spannende an der Fotografie: Wie sie sich überall hin ausbreitet, überall mitspielt.

LA

Wenn wir heute Ausstellungen mit fotografisch arbeitenden Künstler*innen planen, dann ist doch klar, dass da nicht nur die graue Wand mit 156 gerahmten Bildern zu sehen ist, sondern mehr. Zum Beispiel eine Soundarbeit.

PP

Diesen Bewegungen muss man Rechnung tragen. Sonst gründet man ein Institut, das im Moment der Gründung schon veraltet ist und dem Fotografiebegriff, so wie er sich entwickelt hat, überhaupt nicht mehr gerecht wird. Und dann begeht man einen schweren Fehler.

LA

Wahrscheinlich ist die Gefahr recht groß, dass man von Anfang an nur hinterherläuft und Dinge verloren gehen, bevor sie gesichert werden können, Stichwort Digitalität, der inflationäre Gebrauch von Instagram et cetera.

PP

Aber solche Sachen kannst du doch mit wenig Aufwand sichern und bewahren. Das verursacht jetzt nicht so gigantische Kosten wie großformatige, gerahmte Prints unterzubringen. Gerade im Digitalen kannst du jede Menge Sachen mit vergleichsweise geringem Aufwand und Kosten sichern. Und das finde ich gut. Richard Prince hatte ja einen Instagram-Account. Die Posts hat jetzt ein französischer Verleger als Bücher in Umlauf gebracht. Den Account gibt es nicht mehr, aber es gibt die Publikationen, wie Schallplatten sehen die aus, in einer Hülle.6 Die Druckqualität ist zwar nicht so super, trotzdem finde ich gut, dass diese Bücher existieren. Sonst wären diese Bilder verschwunden. Und das ist eigentlich schön, denn man guckt damit in die Skizzenbücher von Richard Prince.

LA

War es ein Wunsch von dir, zusammen mit Richard Prince auszustellen?

PP

Ich habe das nicht vorgeschlagen. Aber als sich die Möglichkeit eröffnet hat, habe ich mich gefreut. Weil Richard Prince eine Person ist, die für mich eine wichtige Figur war, als ich 24 Jahre alt war und anfing zu studieren. Die Beschäftigung mit seinem Werk hat mir damals einen Schlüssel in die Hand gegeben, um anders auf die Welt zu gucken und als Künstler anders zu agieren. Ich glaube, dass es Korrespondenzen zwischen seinem und meinem Werk gibt, obwohl es in der Ausstellung zum Glück nicht darum geht, nur die Ähnlichkeiten zu zeigen.

LA

Die Auseinandersetzung mit Alltagsfotografie ist sicher ein verbindendes Moment.

PP

Richtig. Aber man darf nicht vergessen, dass wir zwei verschiedene Generationen in zwei verschiedenen Kontinenten repräsentieren. Das spürt man.

LA

Wirst du im Museum Weserburg auch deine neueren Arbeiten zeigen, die ja weiter weg sind von Gebrauchsfotografien?

PP

Ja, es wird einen Raum geben mit dem, was mich gerade beschäftigt. Ich wollte nicht nur die Arbeiten zeigen, die alle kennen. Weil mich das auch langweilt.

LA

Erzähl mal.

PP

Es wird einen Raum geben, der ein bisschen so funktioniert wie die Ausstellung bei Captain Petzel.

LA

Warum die Auseinandersetzung mit Höhlenmalerei?

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PP

Ich sehe in diesen historischen Zeugnissen viele Phänomene, die mich auch an der Gegenwartskunst faszinieren. Mich interessiert, was da zeichnerisch gemacht worden ist. Die Reduktionen in der Zeichnung sind meinem Ansatz ähnlich und auch die Zeichnungen als Spuren von Handlungen. Mich interessiert es, da anzudocken. Ich habe ja lange Bilder aus unterschiedlichsten Quellen gesammelt und versucht sie zu benennen, zu kategorisieren und auf eine Art festzuschreiben, um eine Art Ordnung herzustellen. Je länger ich das machte, desto mehr interessierte ich mich für Sachen, die sich im Grunde diesem Versuch entziehen. Was mich in den letzten Jahren immer mehr interessiert, sind die Assoziationsfelder um die Bilder herum. Wie können Bilder aus unterschiedlichen Bereichen miteinander interagieren? Ich versuche, mit Bildern aus anderen Wissenschaftsgebieten oder aus anderen Alltagsgebieten an diese Höhlenmalereien und was ich darin lese, Vorschläge oder Übersetzungen anzufügen. Das ist eine ganz assoziative Angelegenheit.

LA

Sind das eigene Zeichnungen von dir?

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Ja, es sind eigene Zeichnungen und eigene Fotografien, die ich da zum Teil anfüge. Die Corona-Zeit war in dieser Hinsicht schwierig für mich, weil ich viel in Bibliotheken, oft in Fachbibliotheken, arbeite. Jetzt ist alles zu. Ich habe auch viel angeschaut, habe die Höhlen in Frankreich, Spanien und Portugal besucht. Und ich habe jedes Foto, das ich in den letzten zehn Jahren gemacht habe, daraufhin befragt, ob es mit Fotos von Höhlenmalereien interagieren kann. Ich habe meinen Blick im Alltagsleben umgestellt und geguckt, wo ich Dinge sehe, die man in diese Richtung missverstehen könnte. Mich interessiert in den letzten Jahren überhaupt immer mehr das Missverstehen als das Verstehen.

LA

Vielleicht ist es der Wunsch, etwas festzuhalten oder aufzuzeichnen, was kulturell noch nicht so stark überformt ist.

PP

Ja, wahrscheinlich. Schaut mal, hier ist eine Skizze von diesem Raum. So ungefähr wird er aussehen. Das ist ein Foto von einer Flechte aus einem Biologiebuch. Das ist ein Foto von Handnegativen aus einer Höhle. Das ist auch eine Ansicht aus einer Höhle. Hier ein Foto, das ich auf der Autobahn bei Nacht gemacht habe. Dann ein Foto aus einem FBI-Magazin. Das sind zwei Zeichnungen, die ich gemacht habe. Das kommt aus Höhlenmalerei. Das kommt aus einem Kriminalistikbuch. Dann noch eine Luftaufnahme von Sümpfen, weiter eine mikroskopische Aufnahme von einem Knochenquerschnitt. Also, ihr seht, da kommen ganz unterschiedliche Herkünfte zusammen.

LA

Hat diese Arbeit / dieser Raum einen Titel?

PP

Noch nicht. Weil ich merke, dass es immer noch total in die Breite geht. Ich sammle an allen Ecken und Enden. Ich habe ja auch eine Zeit lang fast jährlich mindestens ein Buch gemacht. Und seitdem mein Beschäftigungsfeld sich verändert hat, habe ich noch kein einziges Buch gemacht. Weil ich das Gefühl habe, noch nicht so weit zu sein.

LA

Ist jedes Bild aus dieser Komposition als Einzelbild konzipiert? Oder ist die Arbeit als Raum konzipiert und nur in dieser Geschlossenheit vermittelbar?

PP

Ich kann in jedem Falle sagen: Das funktioniert jetzt und hier so. Das ist eine Setzung. Aber solange dieser Raum nicht von einer Institution oder einer Sammlung angekauft wird, ist alles offen. Ich habe ehrlich keinen Schimmer. Vor 20 Jahren dachte ich immer, ich darf gar nicht anfangen zu arbeiten, wenn ich kein Thema habe, wahrscheinlich eine Folge des Studiums an der HfBK Hamburg in den 1990ern. Und jetzt versuche ich, über das Machen herauszufinden, was ich eigentlich denke. Ich versuche, im Tun herauszufinden, was mich eigentlich beschäftigt.

LA

À la Rolf Dieter Brinkmann.

PP

À la Rolf Dieter Brinkmann, ja, ist wirklich so. Jetzt in der Auseinandersetzung mit Brinkmann merke ich, dass ich diese Wut, die er hatte, auch in mir habe. Diese Wut auf die Systeme und diese Wut auf den Markt und diese Wut auf die Institutionen und diese Wut auf den Kapitalismus. Ich habe die auch in mir. Und ich versuche, die irgendwie kleinzuhalten. Denn ich bin ja eigentlich an einem Punkt, an dem ich Frieden mit den Ansprüchen machen kann. Ich bin auch sehr dankbar dafür, dass ich heute nicht 20 bin und an einer Akademie studiere und kein falsches Wort sagen darf, weil ich dann schon ausradiert werde. Ich bin in der komfortablen Situation, dass ich mich von meiner eigenen Arbeit immer noch überraschen lassen kann, dass mir das immer noch sehr viel gibt. Dass ich mich immer noch begeistern kann für Phänomene, für das, was ich sehe. Und wenn man an die Höhlenmalerei denkt, auf die ich mich beziehe und wo ich versuche anzuknüpfen, da kann ich ja noch nicht mal mit Sicherheit sagen, dass es mit Kunst überhaupt richtig benannt ist. Diese Freiheit ist mir wichtig. Künstler zu sein heißt ja nicht nur, Kunst zu machen, sondern ist die Entscheidung für eine bestimmte Daseinsform.

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LA

Zugleich gibt es da eine Verbindung zu allem, was du bisher gemacht hast: nämlich das Andocken an bestimmte alltagskulturelle Erscheinungen. Nur, dass dein Referenzrahmen jetzt in der Prähistorie lieg.

PP

Ja, oder im prähistorischen Wissen … Das war eine Kultur von Nomaden, die vor dem ersten großen Fehler, vor der Sesshaftigkeit, aufkam. Zugleich ist es eine schriftlose Kultur. Das heißt, wir wissen, was die da abgebildet haben, aber wir haben keine Ahnung, was das bedeutet. Denn wir kennen deren Gesellschaften nicht und werden sie niemals kennen. Wir werden das nicht verstehen können, sondern können es nur mit diesem Abstand anschauen und sehen, was sich von uns darin spiegelt. Wir können es nur anschauen als das, was es ist. Wir können den Sinn nur selber herstellen. Und das ist das, was mich fasziniert. Alle Modelle von Erklärungen über diese Kunstform sind x-mal widerlegt. Und das, was man heute an Gewissheiten hat, sind wacklige Gewissheiten. Und das zieht mich an.

LA

Interessant, dass es dann ausgerechnet das Medium Fotografie ist, das du oftmals für deine Arbeiten wählst. Denn dieses Medium ist ja ein abbildendes Medium. In der Fotografie ist es schwierig, aus einer bestimmten Logik des Sehens auszubrechen. Wir wollen immer sofort wissen, was auf dem Bild drauf ist und es beschreibbar machen.

PP

Genau. In den 1950er-Jahren gab es Fotos in wissenschaftlichen Publikationen, wo irgendwie Licht einfällt. Die Zeichnung [Höhlenmalerei] siehst du auf dem kleinen Bild nicht gut. Das Bild ist mehr ein Fotofehler als ein Foto. Für mich funktioniert es aber als eigenständiges Bild, das mit dem konkurriert, was man da eigentlich fotografieren wollte.

Ich zeige euch noch die Zeichnungen, die ich den letzten Wochen gemacht habe zu der Wanderung in Bremen. In diesen Ortszeichnungen geht es immer darum, den Weg nochmal im Geiste durchzugehen, meine Erinnerung zu befragen: Was habe ich da gesehen und erlebt? Teilweise sind die annähernd gegenständlich. Man glaubt, etwas zu erkennen, aber es bleibt auf der Grenze: Das könnte das und das darstellen. Das Blatt dann aber nicht fertig zu zeichnen, sondern zu gucken, wo treibt mich das hin, das interessiert mich. Also zur nächsten Assoziation direkt überzugehen und sich nicht darum zu kümmern, irgendetwas abzubilden. So erlebe ich etwas, während ich zeichne, und deshalb zeichne ich weiter. Dieser Prozess ist wirklich intensiv für mich.

LA

Gibt es noch etwas, was du im Hinblick auf die Planungen des Instituts für Fotografie ansprechen möchtest?

PP

Gibt es tatsächlich. Ich glaube, dass bei dieser ganzen Frage wichtig ist, dass man nach dem gesellschaftlichen Nutzen des Instituts fragt. Dass die Leute, die das machen – wer auch immer das sein wird – im Blick haben, dass es um die Kunst gehen muss und gefragt wird, was das sein könnte. Ich bin an ein paar Formulierungen hängen geblieben, in denen der Standort Deutschland und sein bedeutender Markt für künstlerische Fotografie betont wurde. Ich glaube, das ist verkehrt. Das mag zwar in politischen Zusammenhängen funktionieren. Aber wenn man jetzt wirklich daran arbeiten will, so etwas ins Leben zu rufen und mit Leidenschaft an dieser Sache zu arbeiten, dann ist wichtig, dass man thematisiert, dass Kunst etwas anderes sein kann als Kunst verkaufen. Kunst hat einen anderen Zweck, als ein Markt unter vielen zu sein. Kunst hat einen höheren Wert. Der gesellschaftliche Nutzen von Kunst drückt sich in einem Potenzial möglicher Erfahrungen aus.

LA

Interessant, dass du den gesellschaftlichen Nutzen hervorhebst. Denn deine eigene künstlerische Arbeit bezieht sich einerseits stark auf alltagskulturelle Erscheinungen, die im Werk unterschwellig immer da sind, um dann andererseits in einer Kunst aufzugehen, von der ich jetzt behaupten würde, dass sie gewissermaßen zweckfrei ist.

PP

Mit einem Archiv soll sich vor allen Dingen abbilden, wie unterschiedlich die Herangehensweisen sind. Wenn das am Ende nur Düsseldorfer Schule ist, dann ist da etwas falsch gelaufen. Und wenn das nur Künstlerinnen und Künstler der fünf führenden Galerien sind, dann ist da auch etwas schiefgelaufen. Da muss auch Platz sein für Outsider. In dem Zusammenhang finde ich wichtig, dass da Personen sind, denen ich vertraue. Die vielleicht auch angegriffen werden, weil sie sich für schwierige Positionen entscheiden. Warum denn nicht? Ein Archiv hat immer etwas mit Macht zu tun und damit, Entscheidungen treffen zu können und damit auch Fehler zu riskieren. Ein gerechtes Archiv wird es ohnehin nicht geben, was soll das sein? Ein gerechtes Archiv würde bedeuten, alles aufzuheben, und das ist schier unmöglich und unsinnig. Aber man kann Wagnisse eingehen.

Man muss sich bewusst sein, dass man in einer Machtposition ist, wenn man in so einer entscheidenden Position ist, und darf das nicht wegleugnen. Wenn ich an meine eigene Biografie denken, kann ich sagen, dass ich damals als die Person, die ich war, spezifische Entscheidungen getroffen habe. Heute würde ich in vergleichbaren Situationen andere Entscheidungen treffen. Das Leben besteht aus Sekundenbruchteilen. Und genau so wird es in so einem Archiv auch sein. Es wird Strömungen geben, die man am Sammlungsverhalten wird ablesen können, und das ist auch okay. Man muss sich aber darüber sehr genau im Klaren sein. Und mit dem gesellschaftlichen Nutzen eines Instituts für Fotografie meine ich, dass man die Vielgestaltigkeit von Fotografie abbildet. Dazu muss es sich medial öffnen, sonst bildet man gar nicht ab, wie heute mit Fotografie gearbeitet wird.