Ute, kannst du skizzieren, um welche Archive ihr euch gerade kümmert?
Das Archiv wurde erstmals Thema, als mein Vater (Ludwig Schirmer, 1929–2001) starb und wir vor der Situation standen, dass wir die obere Etage in dem Haus, in dem er wohnte, zum Teil räumen mussten. Mein Vater war ein Fotograf, der sehr viel gearbeitet und vieles gesammelt hat. Ich musste plötzlich mit einem riesigen, ungeordneten Konvolut von Negativen, Kontakten, Dias und Fotos umgehen. Ich wusste natürlich, woran er gearbeitet hat, was seine Themengebiete waren, aber als ich mich dann in den Nachlass eingearbeitet hatte, fiel mir auf, wie viele Informationen fehlten und wie wenig ich eigentlich im Detail wusste.
Habt ihr euch zu seinen Lebzeiten darüber unterhalten, was mit seiner Arbeit passieren soll, oder hat er mal davon erzählt, wie er sie organisiert hat?
Nein, das Archiv war überhaupt kein Thema für ihn. Er ist 72 geworden und hat kurz vor seinem Tod noch mit der Camera Obscura freie Arbeiten fotografiert. Er war ein leidenschaftlicher Fotograf, hat überhaupt nicht nach hinten gedacht, sondern immer nur nach vorne. Aber er hat sehr viel aufgehoben, Negative, Zweitnegative, Dias, Kontakte, Veröffentlichungen, Kameras, Bücher. Es gab noch alles und nichts war beschriftet. Das war das große Problem. So tief war ich auch nicht in seiner Arbeit, dass ich hätte sagen können, dies ist in dem Betrieb fotografiert oder das ist dort fotografiert oder das könnte in dem Jahr gewesen sein.
Aber nachdem ihr miteinander verbunden wart – nicht nur durch die Herkunft und Biografie, sondern auch durch das Medium – ist schon interessant, dass die Frage nach dem Verbleib des fotografischen Werks nicht aufgetaucht ist. Könnt ihr euch erklären, warum das so ist? Allerdings: Mit 72 Jahren zu sterben, ist auch sehr früh.
Ja, er hatte das Gefühl, noch viel Zeit zu haben. Und er hat, glaube ich, nicht so viel Wert darauf gelegt, weil er als Werbefotograf gearbeitet hat. Das war für ihn angewandte Fotografie, die ihm nicht so wichtig war. Aus diesem Bereich ist deshalb leider nicht mehr so viel da. Da hätten noch zehn weitere Schränke stehen können. Er hat bei seinen Auftragsarbeiten immer die Negative mit allen Rechten verkauft.
Ach, alles weg? Auch die Negative und Dias hat man da abgegeben?
Genau. Das war vor allem auch eine finanzielle Frage. Die Honorare waren niedrig und es war lukrativ, die Bilder mit allen Rechten zu verkaufen. Was in seinem Archiv übrig blieb, ist oft die Zweit- und Drittauswahl. Die erste Auswahl liegt jetzt in den Archiven der abgewickelten Betriebe und was aus diesen Archiven wird oder geworden ist, ist eine der großen Fragen. Mein Vater hat aber nicht ausschließlich Werbung fotografiert. Angefangen hat er als Amateur. Aus dieser Arbeit haben wir ein Buch gemacht, nachdem wir das Material nach seinem Tod 2001 entdeckt haben.1 Ursprünglich war er von Beruf Müllermeister und hatte eine Wassermühle. In den 1950ern und 1960ern ist eine Arbeit über sein Dorf entstanden, Berka. Erst danach ist er Werbefotograf geworden und hat zum Teil zwei Assistenten gehabt. Also ein richtiges Unternehmen, sehr professionell alles. Mein Vater hatte es wirklich geschafft, aus Berka in Thüringen wegzugehen, weil er Fotograf werden wollte. Er hat angefangen, für die Wochenpost Titelbilder zu fotografieren und dann auch schon die ersten kleinen Werbejobs bekommen. Und sicherlich hat er auch die Hochzeiten, die er noch in Berka fotografiert hat, bezahlt bekommen. Er hat es geschafft, woanders seinen Weg zu gehen. Aber er hat die Werbefotografie nicht für so wichtig gehalten.
Die hat er absolut für wichtig gehalten!
Ernst genommen hat er sie immer. Aber er war später nicht wirklich stolz darauf.
Dass er nicht wirklich stolz auf seine Werbefotos war, kam auch durch die Bekanntschaft mit Arno Fischer und den ganzen Kreis um Arno, wo über Kunst und über künstlerische Fotografie geredet wurde. Das hat ihn dazu gebracht, sich anderen Themen zuzuwenden und zu beginnen, freie Arbeiten zu fotografieren. Es gibt ein paar Themen, die zwar im Auftrag entstanden sind, denen man aber auch ansieht, dass sie ihm wichtig waren und er über den Auftrag hinaus noch weiter daran gearbeitet hat.
Und diese Sachen hat er dann auch selber behalten?
Naja, die lagen irgendwie rum, muss man so sagen. Zwar in Kartons, aber die waren unbeschriftet. Die Schwiegereltern haben hier gleich um die Ecke in einem großen Haus gewohnt. In den letzten Jahren gab es nur noch zwei Zimmer und eine Küche für die Familie. Alles andere war von seiner Fotografie in Beschlag genommen. Wenn ein Zimmer voll war, kam das nächste dran. Er hat sich mit der Fotografie eben sehr ernsthaft beschäftigt.
Ja, aber diese ersten Arbeiten aus Thüringen, aus dem Dorf, die ja wirklich großartig sind, die hat er nicht wirklich bewusst wahrgenommen. Die haben wir erst im Nachlass entdeckt.
Ludwig hat immer viel gearbeitet. Er war der einzige Verdiener und Utes Mutter hat ihn immer unterstützt. Und als Freiberufler hatte man zu DDR-Zeiten auch nur eine winzige Rente. Nach seinem Tod war das Haus nicht mehr zu halten. Wir haben die ganze obere Etage leergeräumt und haben das Haus dann zur Hälfte vermietet, damit die Mutter unten weiter wohnen konnte. Das ist der Hintergrund, warum wir uns in kurzer Zeit sehr intensiv mit dem Nachlass beschäftigt haben.
Und dann habe ich ein halbes Jahr nichts anderes gemacht als zu sichten und zu überlegen. Was bleibt, was muss und was kann weg. Das war das erste Mal, dass ich wirklich das Gefühl hatte, so darf man nicht mit seiner Arbeit umgehen. Ungeordnet und unbeschriftet. Man hat eine Verantwortung. Sicher dachte ich das auch aus einer Verzweiflung. Was mache ich jetzt mit dem Material? Natürlich hatte ich Respekt davor und ich wusste, ich darf nichts wegschmeißen, was gut ist und was wichtig sein könnte. Das geht einfach nicht. Am Anfang war ich total überfordert. Dann fing ich an, mich mit Leuten zu treffen, die mit ihm zusammengearbeitet haben, um Informationen zu bekommen: Wo könnte das gewesen sein, wann könnte das gewesen sein. Und trotzdem blieb alles recht vage: welcher Betrieb, welches Jahr, welcher Auftrag?
Gab es auch mal die Idee, mit dem Material irgendwohin zu gehen, also zu einer Institution oder Stelle, die sich möglicherweise interessieren könnte und die auch mithelfen könnte?
Nein. 2001 gab es noch kein Bewusstsein dafür, auch von staatlichen Stellen nicht, dass es wichtig ist, manche Archive zu erhalten. Jedenfalls wusste ich nichts davon. In der vergangenen Woche habe ich zufällig die Ausgabe 11/1982 der DDR-Fotozeitschrift Fotografie entdeckt. Darin ist ein Protokoll des Arbeitsausschusses des Zentralvorstandes der Gesellschaft für Fotografie abgedruckt, dass der Schwerpunkt der künftigen Arbeit der AG Geschichte im Erfassen fotografischer Archive und deren wissenschaftlichen Aufbereitung liegt. Es gab also doch bereits ein Bewusstsein in dieser staatlichen Institution. Bei mir jedoch noch nicht. Ich hatte jedenfalls damals nichts davon gehört. Wahrscheinlich war ich zu jung und wollte nur fotografieren.
Man muss auch einfach sagen, dass bis 2000 – vielleicht auch noch länger – sich niemand für das Archiv eines DDR-Werbefotografen interessiert hätte. Werbefotografie in der DDR, was ist das? Gibt’s das überhaupt?
Das war wirklich ein Glück für deinen Vater, dass er eine Tochter und einen Schwiegersohn hatte, die einen Blick für den Nachlass mitbringen und überhaupt erkennen können, was das Material ist – trotz aller Kritik gegenüber einer Werbefotografie, die als Tochter ja auch ganz menschlich ist.
Heute kann ich auch die Qualitäten in der Werbefotografie meines Vaters erkennen und schätze sie. Wichtig ist mir zu sagen, dass die Aufbereitung des Materials nicht nur meine Initiative war. Gut, ich habe dieses halbe Jahr wirklich ausschließlich das gemacht, aber ich habe eine große Unterstützung von Werner und von meinem Bruder Karsten bekommen, der auch Fotograf ist. Die beiden haben ja die ganzen Kontakte gemacht. Es gab von den meisten Negativen keine. Karsten hat auch die Arbeitsprints herstellt, die wir für das erste Projekt Zu Hause brauchten. Aber schon beim Ansehen der Negative habe ich erkennen können, dass die Bilder großartig sind.
Das heißt, anstatt aufzuräumen hast du erstmal weiter produziert.
Ja, weil ich natürlich auch Lust darauf hatte. Das war wie einen Schatz finden. Mir war klar, das ist die große Kür, da kommt was Schönes raus. Aber das andere Material war auch noch da. Da habe ich erst Jahre später weiter dran gearbeitet. Etwa 2007 habe ich angefangen – ich weiß nicht, was da wieder die Initialzündung war – die Werbefotografie meines Vaters aufarbeiten. Aber in dieser Zeit war ich überhaupt noch nicht an meinem eigenen Archiv oder an Werners.
Ich wusste nur, das kommt irgendwann auf uns zu. Ich habe mir vorgenommen, dass unser Archiv in einem geordneten Zustand hinterlassen wird.
Da war sicher eine lehrreiche Erfahrung. Jetzt gibt es hier in eurem schönen Atelierraum …
… den Ludwigturm. [Lachen]
Sehr kompakt.
Es gibt fast keine Prints von ihm. Es gibt Druckerzeugnisse von seinen Arbeiten, aber leider nicht mehr alles. Viele Dias, Negative, Kontakte und dann gibt es Prints, die wir nach seinem Tod hergestellt haben. Also wenig Vintagematerial. Der Ludwigturm beinhaltet nur das originale Aufnahmematerial. Das ist dann doch gar nicht so wenig.
Und immer wieder zwischendurch hatte ich das Gefühl, ich muss jetzt wieder richtige Bilder sehen, mich nicht immer nur mit Leuten treffen und mir sagen lassen, dieses Bild könnte dann und dann entstanden sein. Deshalb haben wir immer wieder einige Serien scannen lassen und Ausdrucke gemacht – einfach, um ein Erfolgserlebnis zu haben und um zu sagen: Das Material, das wir haben, ist toll. Ich brauchte immer mal auch Positives zwischendurch.
Ok, das heißt, es ging nicht nur um Sichten und Sichern, sondern auch darum, zu einer neuen Form der Ausarbeitung zu kommen. Was bedeutet es, wenn man sich gestattet zu reprinten ohne Vorlage, die verbindlich ist?
Weder eine Vorlage als Referenz in einem Print noch eine Bestätigung im Sinne von: Das hätte der Fotograf so auch ausgewählt. Das ist schon eine große Verantwortung, mit Material zu arbeiten – zu einem Zeitpunkt, an dem es überhaupt keine Zustimmung mehr geben kann, weil da niemand mehr ist, der zustimmt oder auch sagt: Das lieber nicht. Aber ich habe mir diese Freiheit genommen, weil ich wusste, dass mein Vater sehr viel von meinem Urteil hielt. Er hat immer, wenn er etwas Neues gemacht hat – vor allem nach 1990 –, gesagt: Komm doch mal rüber, sieh dir doch mal das an, wie findest du das? Das war ihm immer wichtig. Es war ein Ausgangspunkt für mich zu denken: Ich glaube, ich weiß, was er gut finden würde.
Das war aber nicht die Werbefotografie.
Nein, das war nicht die Werbefotografie. Die Frage ist ja: Da findet man so ein großartiges Material, das der andere aber nicht autorisiert hat. Ich rede jetzt von Zu Hause, von den Berka-Bildern. Verzichtet man dann auf das Material? Oder sagt man sich: Dieses Material wurde zu Lebzeiten des Fotografen von ihm nicht wahrgenommen, aber man erkennt die Qualität. Wir haben uns entschieden, es zu zeigen und zu bewahren. Und trotzdem sind es Fragen, die ich mir immer wieder gestellt habe und die ich auch gestellt bekomme. Aber inzwischen bin ich sehr entspannt damit. Weil ich einfach weiß, es hätte ihm wirklich gefallen.
Das Spannende daran ist ja, dass das Buch und die Ausstellung einen Bereich seiner fotografischen Arbeit betreffen, der vorher nicht vergrößert oder gezeigt, quasi gar nicht gesehen wurde. Im Einzelbild habt ihr ja nicht nachträglich Entscheidungen von ihm korrigiert oder hinterfragt. Zu Hause war das Ausheben eines ungesehenen Schatzes aus einem Archiv. Also wirklich aus dem Freien, auf einem Blankopapier.
Ja, ein Schatz, der uns alle überrascht hat.
Von den Fotos, die im Buch oder in der Ausstellung waren – es gibt ja auch eine Ausstellung, die fertig im Keller liegt – kannten wir vielleicht zehn Fotos.
Nicht einmal so viele …
Es gibt eine Ausstellung, die fertig im Keller liegt?
Ja, zu dem Thema Berka.
Nur mit den Fotografien von Ludwig Schirmer oder sprichst du das übergenerationale Projekt an?
Nur mit seinen. Das Gesamtprojekt haben wir noch vor uns.2 Wir arbeiten gerade an dem Buch Ein Dorf, das umfasst den Zeitraum von 70 Jahren und zeigt ein Dorf, das drei Fotografen einer Familie fotografiert haben.3
Um noch einmal auf die Verantwortung und die Entscheidungen zurückzukommen. Ich weiß natürlich, was gute Fotografie ist, aber ich war auch persönlich sehr involviert. Die Arbeit berührte mich. Es waren meine Familie, Freunde, Nachbarn auf den Bildern. Es war der Ort, wo ich aufgewachsen bin. Ich selbst war auf den Bildern zu sehen. Da fragt man sich dann schon: Bin ich jetzt beeinflusst, weil ich einfach eine zu große Nähe habe? Ich war mir am Anfang nicht sicher, ob es wirklich so gute Bilder sind. Werner hat es zwar bestätigt, aber du hattest auch das Gefühl, du bist sehr dicht dran, oder?
Ja, schon.
Wir haben es am Anfang sehr wenigen Leuten gezeigt, weil da immer noch diese Unsicherheit war.
Naja, man muss auch überlegen, wie wir die Negative gefunden haben. Erst nach und nach. Sie lagen ja nicht alle zusammen in einem Karton. Wir haben sie zum Beispiel in Büchern gefunden. Ein Grund kann sein, dass es Engpässe mit Negativtaschen gab. Und dann hat Utes Vater diese Berka-Negative aus den Taschen rausgezogen und sie in irgendein Buch gesteckt. Ich glaube, er hat das gemacht, damit er die Negativtaschen dann für seinen Job benutzen konnte.
Ihr habt Negative in Büchern gefunden?
Wir haben alle Bücher durchgeschüttelt und fanden in einigen Negative.
Das ist ja Wahnsinn! Wenn man so etwas einmal entdeckt, weiß man ja, okay, ich muss jetzt jedes einzelne Buch durchschütteln.
Genau so war’s.
Es waren nicht hunderte Negative, die da zutage kamen. Aber es waren etliche Filme. Das Buch Zu Hause haben wir 2003 gedruckt. Die Ausstellung wurde 2005 in der Akademie der Künste in Berlin gezeigt, das waren großartige Ergebnisse unserer Arbeit im Archiv.4
Es gibt bei uns eine deutliche Entwicklung in der Beschäftigung mit Fragen der Archivierung. Wir haben ein anderes Bewusstsein für das Thema entwickelt.
Als wir im Frühjahr 2021 angefangen haben, im Archiv zu arbeiten, war dieses Bewusstsein sichtbar: Zum einen waren eure eigenen Negative, Kontakte und Prints in Kartons. Sie waren aber auch schon zum Teil nummeriert und beschriftet. Das Archivieren ist ja im Medium und durch seine Reproduzierbarkeit schon verankert. Euer Archiv ist aktiv. Es gibt immer wieder Zugriffe. Ihr vergrößert alte Negative, schaut nach, überprüft, bekommt Anfragen und auch 2021 habt ihr ja die Negative, die ihr finden wolltet, gefunden. Da war kein Chaos. Es hat intern funktioniert. Die Frage, die aufkam, aber war, ob das auch extern funktioniert. Und da haben wir angefangen. Es ging mir um die Verknüpfung von intern und extern und die haben wir immer neu gedacht und hinterfragt, bis heute.
Ob das eigene Archiv auch extern funktioniert, diese Frage stellt man sich als Fotografin wahrscheinlich erst, wenn man in einem bestimmten Alter ist. Jedenfalls war es bei mir so. Vorher hat man alle Zeit der Welt, man selbst kann alles finden und hat einen sicheren Umgang mit seinem Material.
Bei dir entstand diese Frage hauptsächlich aus der Erfahrung mit dem Archiv deines Vaters. Ich bin da relaxter. Wir haben immer alles gefunden, auch die Negative zu den Bildern, die wir neu vergrößern wollten. Wir hatten keine Schuhkartons unterm Bett, es war schon immer alles einigermaßen geordnet. Vielleicht waren nicht alle Materialien so archivsicher. Wie wichtig das ist, ist uns erst jetzt bewusst. Aber ansonsten sind wir schon ganz gut gewesen.
Jede Fotografin, jeder Fotograf legt irgendeine Art von Ordnung an. Das geht ja allem voraus. Klar, es gibt bestimmt auch welche, die sich dem komplett verweigern, aber das funktioniert dann auch nur bis zu einem gewissen Grad. Mit der Gründung der Agentur Ostkreuz müsst ihr euch mit solchen Fragen oder Kriterien der Sortierung doch auch beschäftigt haben. Hat sich das auch auf die eigene Arbeit niedergeschlagen oder zumindest das Bewusstsein geschärft, dass man Dinge sortieren und strukturieren muss und so weiter?
Ja, schon. Wir haben mit Beginn der Agentur, also vor 34 Jahren, angefangen, die Filme, Kontakte und Prints zu archivieren, die seit 1990 entstanden sind. Sie sind in der Agentur abrufbar, haben eine Nummer, sind verschlagwortet. Aber eben nicht alle Bilder. Denn jeder Fotograf war selbst verantwortlich dafür, was er in das Archiv gab. Die Agentur hat entschieden, welche Bilder sich kommerziell lohnen und diese Auswahl wurde von Jahr zu Jahr strenger. Es macht keinen Sinn, 300 Bilder zu archivieren, wenn man aus Erfahrung weiß, dass davon vielleicht ein Bild in zwei Jahren verkauft wird, da ist der Aufwand-Nutzen-Effekt nicht sehr groß. Das heißt, das Archiv ist da, aber es bedient nur bestimmte Aspekte. Ute war jahrelang die Fotografin mit den meist verkauften Bildern im Archiv, weil sie viele Promis für den Stern fotografiert hat. Das lief sehr gut. Meine Landschaften dagegen waren den Aufwand eigentlich nicht wert, sie zu verschlagworten und einzugeben. Wer will Landschaftsfotos?
Landschaften werden im Archiv verkauft, wenn sie gefällig sind. Deine Landschaften hingegen waren immer sehr eigen und besonders.
Um zu der Situation jetzt zu kommen: Ihr seid dabei, mit Hilfe von Marit Lena Herrmann eure eigenen Arbeiten bis 1990 zu archivieren. Ihr habt mit Utes Bildern begonnen und seid jetzt bei denen von Werner. Ihr habt die Art der Archivierung, die es vorher auch schon gab, übernommen? Also die Nummerierungen und so weiter?
Bei Ute gibt es tatsächlich eine durchlaufende Nummerierung, die ganz früh und konsequent durchgezogen wurde. Das ist etwas, worauf wir aufbauen. Die Nummern fangen mit 67-001 an und dann zieht sich es sich bis 89-2000 irgendwas … Allgemein nutzen wir die Strukturen, die es gibt. Wenn wir etwas umsortieren oder neu beschriften, versuche ich die alten Hinweise – wenn es geht – nicht zu übermalen, sodass auch die Geschichte des Archivs sichtbar bleibt. Dass Ute immer unmittelbar die Filme durchnummeriert hat, war eine große Hilfe.
Ja, das ist wunderbar, weil dann immer ganz klar ist, in welchem Jahr ich das fotografiert habe. Also das ist schon mal sehr gut, das war bei dir nicht so der Fall, Werner. [Lachen]
Deshalb möchtest du wohl nicht an dein Archiv ran!
Ich habe gestern den Vorschlag gemacht, macht doch einfach eine Kiste für mich oder mehrere Kisten mit „Diverses“. Da können wir alles zusammenpacken. [Lachen]
Nein, Werner, so machen wir das auf keinen Fall. Werner hatte zum Beispiel 1984 einen freien festen Vertrag mit der Für Dich, weil er unbedingt Reporter werden wollte, um zu reisen. Gereist bist du dann immer, nach Mecklenburg oder nach Brandenburg.
Oder ins Erzgebirge.
Bei Werner waren die Filme nicht chronologisch nummeriert, sondern nach Themen sortiert, und teils nicht beschriftet. Und nun müssen wir herausbekommen, welcher Ort es ist und welches Jahr. Wir haben ein paar Belegexemplare, in denen wir nachschlagen können. Das ist richtige Detektivarbeit, mein Lieber. Wir haben beschlossen, auch bei den Belegexemplaren Entscheidungen zu treffen.
Das heißt, von zu vielen Belegen kann man sich dann auch trennen?
Ja. Wenn man einen Beleg hat, ist es okay.
Und von den wichtigen sogar zwei. Und dann kann der dritte, der unschöne, zerknickte weggeworfen werden.
Wie ist das denn mit den Auftragsarbeiten? Gibt es dann den entsprechenden Beleg dazu und ist der dann auch auffindbar? Wird der mit verschlagwortet?
Ja, wir versuchen es. Bei einigen Arbeiten ist das einfacher, zum Beispiel bei den Modebildern von Ute, die sie für die Sibylle fotografiert hat. Da sind wir wirklich jede Ausgabe durchgegangen und haben die jeweiligen Ausgaben den Serien zugeordnet. Zum einen ergeben sich dadurch die jeweiligen Jahreszahlen, aber auch die Redakteur*innen und andere Kontexte lassen sich rekonstruieren. Wenn wir das jetzt konsequent auch bei der Für Dich machen würden, die einmal in der Woche rauskam, wären wir ein halbes Jahr beschäftigt. Wir müssen also abwägen und es gibt im Archiv hier, ein Glück, viele Belege. Wenn wir aus den Negativen nicht schlau werden, hilft oft ein Blick in die Veröffentlichungen. Für eine systematische Aufarbeitung fehlt uns die Zeit, bzw. priorisieren wir erst einmal anderes.
Wir müssen einfach Schwerpunkte setzen, wir müssen das große Ganze sehen und dürfen uns nicht verzetteln. So interessant es auch wäre, den Dingen auf den Grund zu gehen, wir müssen erst mal die große Struktur aufbauen.
Das heißt, man muss immer wieder auch in die Abwägung gehen. Alles lässt sich nicht mit den eigenen Ressourcen realisieren.
Man darf wirklich nicht das Ganze aus dem Blick verlieren, weil man sich sonst zu sehr in den Details verliert. Es ist ein Prozess und wir sehen jetzt – wo wir eigentlich nicht mehr so wahnsinnig viel Zeit haben – die Stellen, an denen wir auch ein bisschen zu großzügig waren. Wir haben ja die Finanzierung des Kunstfonds bekommen und diese Mittel gehen zur Neige. Aber wir haben eigentlich nichts falsch gemacht, vielleicht ein paar kleine Umwege.
Man kann das wie Runden sehen, die wir drehen, und wenn wirklich noch Kapazitäten und Möglichkeiten da wären und die Entscheidung fällt zum Beispiel darauf, jede Ausgabe der Für Dich durchzuschauen, dann könnte das in der Struktur geschehen, die wir nun aufbauen. Aber im Augenblick werfen wir eher Anker. Die wichtigen Belege und Reportagen haben wir aufgenommen und die wären dann auffindbar. Es geht mir darum, eine erste Grundlage zu schaffen, auf der dann das weitere Arbeiten aufgebaut werden kann. Je mehr schon verschlagwortet ist, desto leichter fällt es, sich daran zu orientieren. Und diese Runden drehen wir permanent. Wenn ich also einen Film suche und ihn durch die ersten Suchbegriffe nicht finde, füge ich diese später der alten Verschlagwortung hinzu.
Ute hat gerade bei Ebay eine Für Dich gekauft, in der vier Seiten von mir drin sind. Die kam gestern per Post. Aber wenn wir jetzt auch noch die Ausgaben der Für Dich einbeziehen …
Das wäre schon okay, aber es würde ablenken von dem, was wirklich wichtig ist.
Vielleicht übersteigt es nicht nur die Kapazitäten, sondern auch die Lust und das Durchhaltevermögen.
Oder die Finanzen!
Es sind nicht nur die Finanzen. Das ist ein wesentlicher Punkt, aber es sind auch die eigenen Kräfte, die man hat. Es gibt ja nicht nur die Archivarbeit. Ich liebe es, dieses Archiv in eine Form zu bringen. Man kann etwas finden, wenn man das will. Aber wenn ich nur das machen würde, wäre das nicht gut für mich. Fotografieren, neue Projekte haben, nach vorne sehen, in die Zukunft und in die Vergangenheit, das ist eine super Mischung.
Man muss sich ja auch immer wieder in Distanz begeben können, die man den eigenen Sachen gegenüber ja sowieso nicht hat. Aber wenn man die ganze Zeit in den Ordnern wühlt und sich tausende Kontaktbögen angeguckt hat …
Es ist ja auch wichtig zu klären, was das Archiv für jeden individuell bedeuten soll oder was es für eine Funktion hat. Soll das jetzt für die Nachwelt sein, damit jeder Kunsthistoriker sofort alles weiß und alles sieht? Oder reicht es mir, dass ich bis an mein Lebensende damit wunderbar umgehen kann?
Ihr habt also eine unterschiedliche Haltung zu euren eigenen Archiven?
Ja, aber da wir nun mal lange zusammen sind und Ute das wichtig findet, muss sie es auch für mich mitmachen. [Lachen]
Ja, aber du unterstützt uns ja!
Na klar, das heißt ja nicht, dass ich das boykottiere. Ich find’s ja ganz schön, aber wenn ich alleine wäre, würde ich das nicht machen.
Aber es gibt ja auch die gemeinsame Arbeit.
Die Archivierung der gemeinsamen Arbeit hat übrigens Werner übernommen. Und die ist sehr genau.
Das ist auch viel einfacher. Es gibt die fünf Themen, die wir bis jetzt gemeinsam fotografiert haben.
Und bei den Werkgruppen stehen die Entscheidungen fest, welche die wichtigen Bilder sind. Da sieht man nicht nochmal nach, sondern da haben wir uns bereits entschieden.
Da spricht natürlich schon auch die Erfahrung der Arbeit mit Strukturen und Ordnungen mit. Man weiß irgendwann, dass es sehr viel einfacher wird, wenn die Kennzeichnungen präzise sind und der Arbeitsprint abgelegt ist.
Wir machen nicht noch mal die Fehler von damals. Wir haben uns damals nicht die Zeit genommen dafür, jetzt nehmen wir sie uns.
Aber es ist auch alles viel überschaubarer.
Sind die Dinge parallel auch digital archiviert?
Es ist nicht alles digitalisiert, aber unsere gemeinsame Auswahl ist digitalisiert. Zum Beispiel ein Thema wie die Flüsse, die wir fotografiert haben. Da gibt’s die Loire, das sind 180 Negative, 4 × 5 inch. Das ist sehr überschaubar. Und dann gibt’s die Kontakte dazu und unsere gemeinsame Auswahl, diese ist digitalisiert.
Das Großformat ist da ja sehr dankbar, oder?
Und dann gibt’s noch einen Karton mit Prints. Den kann ich mir untern Arm nehmen und kann dir sofort alles zeigen und sagen was, wie, wo.
Aber wir treffen auch, weil es Großformat ist, genaue Entscheidungen und zwar schon beim Fotografieren. Wir machen ja nicht von einem Motiv Varianten, sondern wir legen bei der Aufnahme fest, welchen Abstand wir haben wollen, was wir aufnehmen wollen. Wenn Leute drauf sind, machen wir mehrere Belichtungen, das ist klar, weil da noch etwas Zufälliges passieren kann. Aber wenn wir eine Landschaft fotografieren, dann gibt es eben diese eine Einstellung.
Hebt ihr auch Skizzen auf?
Ja, das hab ich alles digital.
Und analog auch zum Teil, die schriftlichen Notizen.
Das stimmt. Es gibt die Recherchen zu den Projekten. Wir fahren ja nicht einfach los, wir suchen ganz gezielt etwas, worüber wir vorher gelesen haben. Und dann gibt es aber eben auch die Notizen, die ich mit dem Handy oder mit einer kleinen Kamera fotografiere.
Könnte man dann grundsätzlich sagen: Am einfachsten zu archivieren sind immer noch die freien Projekte, ohne Auftrag und ohne die Absicht, sie der Agentur als verkaufbares Material zur Verfügung zu stellen?
Ja, das ist auch am einfachsten, weil das die Projekte sind, die bei mir sehr präsent sind und die bleiben. Wenn es ein Auftrag war, den ich abliefern musste und der gedruckt wurde, dann hab ich mich gefreut oder nicht gefreut und dann war’s eben vorbei. Das war nicht unbedingt das Lebenswerk. Aber von meinen wenigen Arbeiten, die ich frei gemacht habe vor der Wende …
So wenige sind das nicht, Werner.
Nicht so wenige. Aber da weiß ich genau Bescheid, weil sie im Kopf geblieben sind.
Das Selbstverständnis ist bei diesen Projekten ein anderes.
Wir haben zumindest bis zur Wende zum Beispiel nie darüber nachgedacht, ob wir mit unseren freien Arbeiten Geld verdienen können. Ich habe vor der Wende mehrere Ausstellungen gehabt. Kleinere Ausstellungen, aber nie auch nur den Gedanken gehabt, dass ich damit Geld verdienen könnte.
Zu der Zeit habt ihr nie Bilder rausgegeben an irgendwelche Museen?
Die staatlichen Kunstsammlungen Cottbus haben damals Fotografie gesammelt und auch in größerem Maße angekauft. Das Honorar war meiner Erinnerung nach nicht hoch.
Es war ganz klar, dass man davon nicht leben kann. Aber es war eine Ehre.
Ja, es war eine Ehre, und das hat uns alle gefreut, jeden, der da vertreten war.
Das heißt, solche Verkäufe sind nicht in einer Werkliste vermerkt, sofern ihr die habt?
Nein, leider noch nicht. All die Bilder, die wir verschenkt oder auch an Sammlungen verkauft haben, sind von uns nicht aufgezeichnet. Wahrscheinlich haben andere Kollegen, die ihr Archiv sehr genau gepflegt haben, solche Vermerke schon für sich gemacht, aber wir haben das nicht getan.
Wir versuchen momentan dies wenigstens zu erfassen und dann peu à peu nachzugehen. Das Werkverzeichnis sollte auch die Prints enthalten, die in anderen Sammlungen sind, nur ist die Liste derer, die wir noch kontaktieren möchten, wesentlich größer als die, die wir schon angefragt haben.
Habt ihr irgendwann nach der Wende angefangen zu notieren, wenn Bilder verkauft wurden?
Ja, es gibt Aufzeichnungen, aber nur, wenn es über die Galerien ging.
Es ist ja die Frage, ob es so sinnvoll gewesen wäre, zumindest vor der Wende, wo ihr vielleicht noch nicht mit Auflagen gearbeitet habt?
Damals gar nicht. Damals war auch der Vintage-Print noch kein wichtiger Begriff. Wenn wir ein Bild in den 1980er-Jahren fotografiert haben, dann gab’s natürlich immer mehrere Abzüge, die man machen musste, um den richtigen Print zu bekommen. Aber wenn für eine Ausstellung erst fünf Jahre später die Vergrößerung gemacht wurde, das war dann auch okay. Mit Auflagen arbeiten wir erst seit den letzten 20 Jahren.
Andere Frage: Grenzt ihr in eurer Archivpraxis freie Arbeiten und Auftragsarbeiten voneinander ab?
Die fließen selbstverständlich einfach ineinander über.
Mit Utes Bildern ist es einfach zu erklären, zum Beispiel mit ihrer Arbeit Zusammenleben. Das ist ihre wichtigste freie Arbeit. 18 Jahre hat sie dafür fotografiert, ein endlos langer Zeitraum. Die Arbeit müsste ja dann in dem Archiv von 1972 an in zig unterschiedlichen Kartons auffindbar sein, weil Ute ja zwischendurch auch was anderes fotografiert hat. Dann wäre diese Arbeit zerstückelt. Die ist aber natürlich zusammengefasst.
Bei Zusammenleben und auch anderen wichtigen Werkgruppen haben wir uns entschieden diese in eigenen Kartons zu bewahren. Sie werden häufiger gebraucht und sind schützenswerter als andere Filme. Im Grunde aber ist zunächst jeder Film bei Ute in der durchlaufenden Nummerierung eingeordnet, also jede Auftragsarbeit und jede freie. Das ist auch wichtig, da dadurch Parallelen in der Arbeit deutlich werden. So ist erkennbar, wenn Ute zunächst für einen Auftrag fotografiert hat und denselben Film später noch für eine freie Arbeit genutzt hat. Jetzt gibt es aber einen extra Karton Zusammenleben und darin sind die Negative dieser Werkgruppe. Aber wir haben die Nummerierung beibehalten, sodass es im Grunde möglich wäre, sie wieder zurückzusortieren. So geht der Kontext nicht verloren und die eigentliche Archivstruktur bleibt erhalten. Das heißt, man könnte recherchieren, was vorher und was nachher fotografiert wurde. So haben wir es auch mit den Modefotografien gehandhabt. Oder mit Werners Bildern von den Fans.
Was wir hier sehen, ist die durchlaufende Nummerierung, von der ich schon gesprochen habe. Und dann gibt es das, was thematisch komprimiert ist. Zum Beispiel zwei Kinderbücher, die Ute Anfang der 1970er-Jahren noch zu Studienzeiten an der HGB fotografiert hat, die Modefotografien, Zusammenleben, Werners Fans, die Berka-Arbeit. Wollen wir eine Box mit Negativen öffnen?
Gerne, ja.
Es ist alles chronologisch durchnummeriert. Aber die Themenkomplexe, die ich immer hatte, sind zum Teil in eigenen Kartons.
Geht es euch um Übersicht, Vollständigkeit, Abgeschlossenheit? Um den Durchblick, sodass man mit dem Material – nicht nur du, Ute, sondern alle möglichen Leute – arbeiten kann? Oder geht es darum festzulegen, mit welchen Bildern wie weiter umgegangen werden kann?
Um Vollständigkeit geht es mir nicht. Wenn Dinge fehlen, fehlen sie eben. Wenn ich sehe, dass ich keinen Kontakt von einem Negativ machen muss, weil ich sehen kann, dass das Bild für mich nicht wichtig ist, dann mache ich keinen. So eine Entscheidung hat ja auch etwas mit Nicht-Vollständigkeit zu tun. Wenn wir Kontakte machen, dann machen wir Kontakte, um zu überprüfen, ob da ein gutes Bild dabei ist. Ist das wichtig für eine Geschichte, brauchen wir das, und wenn ja, wo? Es geht also einfach darum, dass es geordnet sortiert ist, dass jemand damit etwas anfangen kann, später, wenn wir, Werner und ich, nicht mehr Auskunft geben können.
Was wäre, wenn in 50 Jahren eine Kuratorin oder ein Kurator kommt und sich das Archiv ansieht und mit ihm arbeiten will?
Davor habe ich Angst [lacht]. Also ich meine, dass jemand kommt und nachträglich unsere Arbeiten umdefinieren möchte. Themen findet, die uns nicht interessiert haben. Bilder vergrößert, die wir nicht vergrößern wollten, nur um neue Bilder zu zeigen.
Ich kenne ja dieses Archiv mittlerweile sehr gut und habe das Gefühl, dass es klar definiert ist. Ich glaube, eine Kuratorin wüsste, wenn sie entgegen euren Vorstellungen, wie mit dem Material umzugehen ist, handelt. Natürlich kann das trotzdem passieren, aber es wäre ziemlich eindeutig. Und mit Eindeutigkeit meine ich, dass die künstlerische Auswahl in allen Stadien erkennbar wird. Auf den Kontaktbögen sind die wichtigen Negative markiert, es gibt Arbeitsprints und von den Guten dann große Abzüge. Es gibt in fast allen Fällen einen Anknüpfungspunkt.
Hier auf den Kontaktbögen sind es einzelne Kreuze, die bedeuten, dass ich davon die Vergrößerungen gemacht habe, die Arbeitsprints. Und dann gibt es ein Kreuz mit Kreis bei dem Motiv, für das ich mich entschieden habe. Hier zum Beispiel haben wir Porträts von einer Schauspielerin, die ich im Auftrag von Progress Filmverleih gemacht habe. Da ging es um eine Autogrammkarte. Ich habe diese drei Motive vergrößert und der Filmverleih hat auch nur die drei Bilder bekommen. Und ich fände es falsch, wenn irgendwann jemand kommt und dann ein anderes Bild aussucht.
Der Auswahlprozess wird sichtbar: erst kreuzen, dann Kreuz mit Kreis, dann Arbeitsprints, dann großer Print.
Das sind deutliche Hinweise.
Um das nicht zu verstehen … da müsste man schon in vielen Momenten die Augen verschließen. Ich fand zum Beispiel an der Arbeit mit Utes Modefotografie sehr interessant, dass ein nachträglicher Blick hilft, die Auswahl zunächst zu hinterfragen. Wir sind jedes Negativ, jeden Kontakt durchgegangen und es kamen immer mal wieder auch neue und „unbekannte“ Motive kurzfristig mit in die Auswahl – und am Ende wurde gesiebt und gesiebt und es blieben doch vor allem die ursprünglich ausgewählten Bilder übrig. Arbeiten am Archiv ist auch ein ständiges Hinterfragen und Bestätigen.
Ihr seid euch sicher: Alles ist klar definiert.
Alles ist klar definiert. Ich habe wirklich mit meinen Negativen gearbeitet. Ich habe vor jeder großen Ausstellung, die thematisch war, alles noch mal durchgesehen, einfach mit der Überlegung im Kopf: Ist mir vielleicht etwas entgangen? Bei dem Buch Zusammenleben gibt es nur drei oder vier Motive, bei denen ich mich 2014 für ein anderes Bild entschieden habe als damals, nämlich für das davor oder für das danach. Wo mir das Motiv in einer Nuance stiller besser gefallen hat als das Motiv, das ich damals ausgesucht habe, als ich 25 war. Aber es sind nur drei. Deshalb bin ich mir so sicher: Da hat sich nichts geändert. Auch mit dieser vielen Beschäftigung mit Fotografie und den vielen Jahren, die dazwischen liegen, bin ich noch bei der Auswahl geblieben und das zu sehen hat mir gutgetan. Früher, wenn ich vergrößert habe, hatte ich Listen und da stand immer die Negativnummer. Ich hatte für die Bilder, die es sein sollen, eigene Bezeichnungen gefunden.
Das waren aber im Grunde genommen nur Hilfstitel für dich?
Nur für mich, aber die finde ich sofort. Das waren im Grunde genommen die Hürden in meinem Archiv, dass es für mich funktioniert hat, aber für einen Außenstehenden nicht. Und hier hat die Arbeit begonnen. Also meine eigene Verschlagwortung so zu ergänzen, dass auch Menschen etwas damit anfangen können, die von außen kommen.
Das war auch das, was ich in dem Vortrag versucht habe aufzuzeigen.5 Nur weil ich mit Ute im Archiv gearbeitet habe, wusste ich, welches Motiv gemeint ist, wenn wir von „Frau Bi“ sprachen. Mit der neuen Archivstruktur können es nun auch andere, die nicht mit Ute zusammenarbeiten. Frau Bi ist dann die ältere Frau im Bikini mit dem Boxer in einem Garten mit Blumenampel.
Beeindruckend. Auch, weil es so viel Arbeit gewesen sein muss. Man merkt, dass da ein ganzes Arbeitsleben drinsteckt.
Dann können wir noch die Prints zeigen, bei denen sich das System fortsetzt. Manchmal habe ich für eine Ausstellung auch noch Repros der ausgewählten Prints gemacht. Diese Kontakte habe ich alle ausgeschnitten, den Raum gezeichnet, um dann am Modell ein Ausstellungskonzept zu entwickeln.
Dokumentierst du eigentlich auch die Ausstellungen?
Früher leider nicht immer. Aber meine erste Modefotografie-Ausstellung 1985 in der Galerie Wort und Werk in Leipzig wurde dokumentiert. Die Galerie wollte wirklich meine Modefotografien zeigen, worüber ich erstaunt war. Ich mochte die Bilder, aber ich dachte damals, meine Modefotos gehören in die Zeitschrift. Die Galerie hat mich aber dann überzeugt, dass man sie auch an die Wand hängen kann.
Hast du manchmal auch Fotos von alten Ausstellungen herangezogen, um zu gucken, wie du das eigentlich damals gemacht hast? Welche Kombination du da gehängt hast und so weiter?
Ja. Und man sieht auch ganz deutlich die modischen Einflüsse, wie man Ausstellungen zu unterschiedlichen Zeiten gedacht hat. Damals hing man zum Beispiel gerne auf Schwarz und in Viererblöcken.
Mitte der 1980er?
Ja. Aber da bin ich jetzt ganz von weg.
In deinen Ordnern tauchen immer wieder mal Notizen auf oder Kopien von Kontakten, mit denen du eine Ausstellung ausprobiert hast. Wäre es dir recht, wenn zum Beispiel mit solchen Notizen gearbeitet werden würde, um neue Kontexte zu öffnen? Und gibt es da auch Dinge, von denen du sagen würdest, dass du sie ungern in einer Vitrine liegen sehen wolltest?
Sicher, das, was mit der Arbeit zu tun hat, ist in Ordnung – da stehe ich absolut dahinter. Ich habe mich schriftlich und theoretisch wenig geäußert, also da gibt es wenige wichtige Unterlagen. Es gibt Texte. Ich schreibe nicht gerne, ich habe so einen großen Respekt vor Geschriebenem, dass ich ewig brauche. Aber damals in der Fotografie, in diesem Monatsheft, da war es häufig so, dass sie eine größere Geschichte nur veröffentlicht haben, wenn auch ein eigener Text dabei war. Also gibt es immer auch schriftliche Äußerungen von mir. Hinter denen stehe ich heute noch. Da merke ich noch die Qual und die Zeit, die ich investiert habe und die finde ich heute noch ganz gut. Ich hätte keine Probleme damit, wenn so etwas auch später nochmal gezeigt werden würde, aber es gibt nicht wirklich eine Korrespondenz, die nachverfolgbar ist.
Daran schließt sich die Frage nach den visuellen Notizen an, nach den Handyfotos und solchen Dingen, von denen zuvor gesprochen wurde. Wäre es interessant, diese Sachen auch ab einem gewissen Zeitpunkt zu archivieren und den eigentlichen Werken beizugeben – als Sekundär- und Recherchematerial?
Das finde ich interessant. Zu unseren neuen Arbeiten gibt es Konzepte. Wir schreiben sie, um uns klarer zu werden, was wir machen wollen. Und auffallend ist, wie sich aus dem ersten Konzept das zweite entwickelt. Wie es sich also beim Arbeiten verändert, weil man einfach tiefer eindringt und nicht mehr so theoretisch rangeht, sondern auch das in Betracht zieht, was man vor Ort erlebt. Das gilt gerade für Kleinstadt. Am Anfang wussten wir noch nicht ganz genau, worauf wir den Fokus legen. Wir wussten schon, es geht um die kleinen Städte, in denen die Bevölkerungszahlen drastisch zurückgehen, die irgendwann leer sein werden. Wie lebt es sich da, wie sieht es da aus? Beim Arbeiten haben wir dann gemerkt, dass die Bilder noch nicht funktionieren. Es war ein langer Prozess. Am Schluss stand die Entscheidung, dort ausschließlich junge Leute zu fotografieren, denn sie können die Zukunft für die Städte sein. Als wir das wussten, war alles ganz einfach und klar. Das war ein Prozess und solch einen Prozess gibt es im Grunde bei jeder Werkgruppe, auch jetzt bei den Strömen. Da finde ich es auch interessant, die Konzepte zu zeigen. Die sind ja auch archiviert, man müsste es vielleicht ein bisschen deutlicher machen, erstes, zweites, drittes, und das Datum vermerken, damit man auch sieht, in welchen Abständen sie sich verändert haben.
Gibt es freie Arbeiten, die noch nie vergrößert worden sind?
Ja, die gibt es.
Also Arbeiten, die eigentlich fertig sind, aber es fehlte bisher die Ausstellungsgelegenheit oder eine andere Form der Veröffentlichung? Und wenn das so ist, wäre es dann sinnvoll, Vorgaben zu machen? Oder ist das zu ausgedacht?
Es gibt in unserem Archiv zum Beispiel einen besonderen Fall, Bilder, die wir 1987/88 in Lissabon für den Brockhaus Verlag Leipzig fotografiert haben.
Vergrößert hattet ihr die Bilder bereits, nur gezeigt und veröffentlicht habt ihr sie nicht.
Ja, vergrößert ist alles! Das sind die Arbeitsprints, die wir immer machen, in Postkartengröße, auf schönem Orwo-Papier, um uns zu entscheiden. Die Auswahl der Bilder hatten wir getroffen, die Bilder waren vermaßt, das Layout war fertig. Und dann kam die Wende und es gab den Brockhaus Verlag nicht mehr. Und es gab schon acht Lissabon-Bücher zu dieser Zeit in der Bundesrepublik. Wir haben das Buch und die Bilder deshalb nie jemandem angeboten. Wir haben die Kisten geschlossen … Durch die Beschäftigung mit dem Archiv haben wir das Material wieder wahrgenommen und endlich das Buch gedruckt.6 Es weicht völlig vom damaligen Entwurf ab. In diesem Fall tat es dem Ergebnis wirklich gut, so viel Zeit vergehen zu lassen. Und es gibt noch ein weiteres Projekt, das ich digital fotografiert habe. Aber da bin ich mir einfach nicht sicher, ob das richtig ist.
Während wir gesehen haben, wie detailliert und umfangreich die Archivierung von Utes Material ist, wissen wir noch gar nicht, wie es bei dir im Archiv aussieht, Werner.
Bei mir ist es viel übersichtlicher.
Das stimmt nicht. Aber du hast zum Beispiel deine Notizen nicht aufgehoben. Wenn ich etwa an deine Diplomarbeit denke und wie kompliziert diese Art war, in der du sie vergrößert hast. Das ist sensationell. Aber dazu gibt es leider keine Notizen mehr.
Da gab es bestimmt Skizzen, Maße, Pläne, aber ich bin mir sicher, dass es die Aufzeichnungen nicht mehr gibt.
Zum Teil ist es ja auch so, dass ihr die Arbeitsprints genutzt habt, um darauf Belichtungszeiten und andere Notizen festzuhalten. Auf der Rückseite der Prints stehen dann zum Teil für mich schwer zu entschlüsselnde Zahlen.
Oder es sind Nummerierungen, die auf eine Reihenfolge und Hängung hinweisen. Aber die Notizen, die Werner für jedes Ausstellungsprojekt anfertigt, maßstabsgetreu, die schmeißt er hinterher weg.
Ganz unsentimental. Fertig, weg.
Aber es ist ja auch so, dass es erst ab einer bestimmten Zeit gang und gäbe wurde, zum Beispiel Ausstellungen fotografisch zu dokumentieren. Es gibt ja immer mal wieder den Versuch, Ausstellungen zu rekonstruieren. Das ist natürlich einfacher, wenn man Dokumentationsmaterial hat.
Das hat jeder und jede von uns unterschiedlich gehandhabt. Es gibt sicher Kollegen aus der DDR, die akribisch dokumentiert haben. Wir haben das nicht getan. Es gibt von uns wenige Ausstellungsansichten.
Das hat auch was mit Digitalisierung zu tun. In dem Augenblick, in dem Websites aufgekommen sind, haben Institutionen und Ausstellungshäuser mehr und mehr angefangen, diese Situationen zu zeigen.
Mit dem Bewusstsein von heute, wie man über Fotografie und über Ausstellungen nachdenkt, ist das logisch. Das gehört einfach dazu. Wir haben vor 1990 zwei große Ausstellungen in Litauen gehabt, in Vilnius und in Kaunas. Die wären mir aus dem Kopf gerutscht, wenn es nicht so ein wunderbares, großes Plakat gäbe mit unseren beiden Namen (in der litauischen Schreibweise). Aber ja, schade, da gibt es keine Dokumentation.
Jedenfalls keine, die ihr gemacht habt.
Ich könnte mir vorstellen, dass bei manchen Institutionen, solange es die Archive noch gibt, vielleicht einige Ausstellungsansichten zu finden sind.
Das könnte sein, aber die Institutionen gibt es ja zum Teil nicht mehr.
Habt ihr die Debatten rund um das Fotoinstitut verfolgt? Diskutiert ihr das untereinander und diskutiert ihr das auch mit euren Kolleginnen und Kollegen, ist es ein Thema bei Ostkreuz?
Bei den Kollegen und Kolleginnen von Ostkreuz ist es momentan nicht wirklich ein Thema, auch weil ja sehr viele journalistisch arbeiten. Und wie es momentan aussieht, hat die journalistische Fotografie in der Debatte um das Institut wenig bis keinen Platz.
Die journalistische Fotografie ist bestimmt ausgeklammert.
Nun verstehen sich ja auch einige Ostkreuzmitglieder als Dokumentarfotografen, das ist schon wieder etwas anderes. Aber das Institut ist trotzdem kein Thema. Ich glaube, die Kollegen wissen, dass es wichtige historische Nachlässe gibt, mit denen man sich erst mal beschäftigen muss. Es geht nicht so sehr um zeitgenössische Fotografie, sondern um die historische. Und in der Ausrichtung des Instituts, so wie es momentan scheint, ist historisch, was in den 1980er-Jahren in der Bundesrepublik fotografiert wurde. Es gibt noch keine klare inhaltliche Ausrichtung, was das Institut eigentlich will und soll, da schwankt noch vieles hin und her. Das manifestiert sich immer an einzelnen Interessengruppen. Ich glaube, es sollte ein Gremium geben, das wirklich übergreifend denkt, jenseits von Genres. Das einfach betrachtet, was müssen wir aufheben? Was brauchen wir? Was erzählt etwas über unsere Zeit?
Denkst du, dass die Kolleg*innen von Ostkreuz sich wenig mit der Debatte auseinandersetzen, da es den Glauben gibt, dort nicht vorzukommen? Und zwar nicht, weil sie möglicherweise das Genre nicht bedienen, sondern weil sie aus einer bestimmten fotografischen Tradition, die auch mit der DDR verbunden ist, kommen?
Die Jüngeren aus der Agentur sind nicht unbedingt DDR-verbunden. Mit den Jüngeren meine ich die um die 40. Da sind wenige, die einen DDR-Hintergrund haben. Ich denke, dass es um die Qualität der Fotografie gehen muss. Und dann kommt die Frage, wie viele Positionen kann so ein Archiv aufnehmen? Ich finde es ungehörig und arrogant, dass gesagt wird, das Institut will sich maximal auf 30 Nachlässe beschränken. Ja bitteschön, wer sucht denn diese aus?
Daran wird schon die komplizierte Idee dieser Institution an sich deutlich.
Und wenn, dann muss unbedingt die dokumentarische Fotografie vorkommen. Ich sag’s mal ganz direkt: Ich finde Heinrich Heidersberger, der VW in Wolfsburg dokumentiert hat, wichtiger als Gursky mit seinen Riesenbildern.
Ja, aber das sagst du wiederum mit deiner Prägung. Deshalb muss es unbedingt ein Gremium geben, das wirklich – man ist nie frei von Interessen, das geht nicht – eine große Toleranz hat.
Beate Gütschow hat den Vorschlag gemacht, dass es aus jedem Bundesland jemanden geben muss, eine*n Künstler*in oder Kurator*in, um in so einem Gremium eine gewisse Parität zu gewährleisten.
Wenn man ein Gremium bildet, das sich auf die Bundesländer bezieht, ist das nicht paritätisch, oder es schließen sich direkt Fragen an: Wer sitzt wo, ab wann gehört wer zu welchem Bundesland, in welchem Verhältnis? Wir haben ja die Prozentzahlen im Kopf, wie viele Personen mit Ost-Biografien und mit West-Biografien in den wichtigen Positionen sitzen. Ich denke, da muss man anders ansetzen, wenn es darum geht, in irgendeiner Weise Fragen der Herkunft in Bezug auf Ost- und Westbiografien abzubilden. Und ein Gremium wäre dann ja nur dahingehend gespiegelt und dadurch noch in keiner Weise divers. Da gibt es Ansprüche an Repräsentation, die für mich relevanter wären.
Oder man muss an entsprechenden Statuten arbeiten. Die Expertenkommission, die von Grütters beauftragt wurde, hat die Frage, wer in ein solches Institut gehört, übrigens schon etwas offener formuliert. Da ging es nicht ausschließlich um künstlerische Fotografie.
Es muss klar werden, über welche Art von Fotografie wir reden. Reden wir auch über Fotografie, die vielleicht künstlerisch nicht unbedingt wichtig ist, aber als Dokument und als Geschichte einen Wert hat? Das wäre ja schon eine Entscheidung. Damit ganz klar ist, was im Institut seinen Platz finden kann und was woanders seinen Platz suchen muss. Mir hat ein Amateurfotograf seine Bilder gezeigt, die er 35 Jahre lang im Werk des Lokomotivbau Hennigsdorf fotografiert hat. Er war nicht als Fotograf angestellt, hat aber alles dort dokumentiert. Hat die Porträts für die Straße der Besten gemacht, ist in jedes Kinderferienlager mitgefahren, war bei jeder Frauentags- oder Brigadefeier dabei. Und natürlich gibt es die Bilder der Produktionsprozesse. Er hat über eine sehr lange Zeit einen wichtigen DDR-Betrieb dokumentiert, in allen Ecken und jedem Winkel. Natürlich sind auch gute Bilder dabei, aber das macht die Arbeit nicht aus. Sondern diese umfassende Dokumentation. Wo gehört also diese Arbeit hin? Auch für solche Fragen sollte das Institut eine Anlaufstelle werden.
Es wird trotzdem ein ewiges Hauen und Stechen geben.
Es wird wahrscheinlich sowieso nichts werden.
Aber ist es denn so, dass wirklich davon ausgegangen wird, dass es eine Anzahl x an Positionen beinhaltet?
Diese Zahl 30, die da so kursiert, ist sicher aus pragmatischen Gründen entstanden. Es ist nur schwer vorstellbar, dass das eine Zahl ist, mit der ernsthaft operiert wird. Sie wird sich aus Berechnungen ergeben haben, die etwas mit den Grundstücken zu tun hat, die zur Verfügung stehen, aber vielleicht auch, um einfach einen Anfang zu setzen, der zu bewältigen ist.
Für mich geht es immer um Fragen des Zugriffs und der Verknüpfungen. Für das Projekt Private Fotografie aus Ostdeutschland habe ich mit dem Deutschen Historischen Museum Material gesammelt. Darunter waren Bilder eines Mannes, der systematisch Halle abfotografiert hat. Und wenn ich sage systematisch, dann meine ich: Er hat alle fünf Jahre Meter für Meter einzelne Straßenzüge dokumentiert. Das war sein Thema. Aber wenn ich private Fotografien aus Ostdeutschland am Deutschen Historischen Museum suche, würde ich anderes erwarten. Dann würde ich an Feste, Einschulungen und Hochzeiten denken, und wie der Weihnachtsbaum aussah. Die Arbeit des Fotografen mit seinen Bildern aus Halle würde für mich eher nach Halle gehören. Da ist vielleicht das Stadtmuseum der richtige Ort. Aber viel wichtiger noch ist, dass es ein Wissen und eine Auskunft über Orte und deren Sammlungsbestände und -geschichte gibt, sodass auch mögliche Verknüpfungen denkbar werden.
Ihr denkt das Institut also als eine Art Knotenpunkt, als ein Netzwerk, mit dem abrufbar ist, wo die Dinge liegen. Es gibt ja auch bereits viele Institutionen, die Nachlässe betreuen – abgelegenste, kleinste Museen, Vereine.
Es gibt in Dresden die Fotothek.
Und die schwimmen ja auch nicht gerade in Geld.
Es gibt die Sparkassenstiftung, die viel macht und zum Beispiel das Archiv von Evelyn Richter gekauft hat. Dann ist auch immer die Frage, was kauft man denn? Kauft man Negative?
Gekauft wird vom Institut für Fotografie gar nichts.
Gut. Was übernimmt man?
Das war interessant, als wir Hans Hansen interviewt haben. Dessen Vorlass ist ins Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg gegangen. Es war eine kuratierte Auswahl seines analogen Negativarchivs, inklusive Arbeitsprints, Prints und auch Drucksachen, in denen seine Bilder auftauchten. Er hatte über ein Jahr lang zusammen mit einer Assistentin sein Archiv aufgearbeitet und ist dann in einen Dialog mit der Sammlungsleiterin für Fotografie gegangen. Hans Hansen hat erzählt: Wenn ich Auswahlen nicht gut fand, habe ich etwas anderes vorgeschlagen. Es war ein Annäherungsprozess. Er ist jetzt dabei, sukzessive auch Dinge aus seinem Archiv zu vernichten oder zu verschenken, zurückzugeben. Also zum Beispiel auch Bilder von Kolleginnen und Kollegen aus seiner eigenen großen Sammlung.
Die gibt er zurück?
Nein, die hat er auch ans Museum gegeben. Wir haben aber auch schon von Beispielen gehört, wo einfach der gesamte Nachlass ins Museum eingegangen ist.
Ich glaube, man muss es heute wirklich anders denken. Nicht so sehr an der Idee eines repräsentativen Hauses festhalten, in das sich alle reindrängen wollen. So ein Haus sollte wie ein Gehirn funktionieren, das verbindet und Synergien schafft. Der Ort sollte eine Zentrale sein, die gespickt ist mit Informationen und die Auskunft geben kann, wenn Fragen kommen.