Du hast bestimmt die Debatte rund um die Errichtung eines Instituts für Fotografie verfolgt?
Also ,verfolgt‘ ist übertrieben – ich habe hier und da was gelesen. Einmal habe ich etwas von Gursky im Spiegel gelesen.1 Und dann das andere Papier.2 Gab es noch andere Meinungen in der Diskussion?
Es gibt viele Meinungen in der Diskussion. Was allerdings eher sekundär blieb, waren die Fragen des Inhalts. Deshalb hat sich eine kleine Gruppe gefunden, um sich auszutauschen. Was heißt es eigentlich, wenn jetzt ein Institut entsteht? Wie können wir dazu stehen? Oder können wir nicht dazu stehen? Muss es zentral sein? Kann es dezentral sein? Muss es Aufgaben erfüllen, die Andreas Gursky und sein Verein in die Debatte gebracht haben? Oder muss es anders aufgezogen werden? Das war erst einmal nichts anderes als ein offener Austausch im Garten und später dann per Zoom. Unsere Debatte hat sich im Verlauf etwas verschoben, indem sich die Frage aufdrängte, was eigentlich die konkrete Situation der Künstler*innen ist. Wie ist die Situation in den Studios? Wie sehen ihre Archive aus? Was brauchen die Künstler*innen? Machen sie sich überhaupt Gedanken darüber, was mit dem Material mal passiert?
Archiv?
Ja, Archiv deshalb, weil alles, was in ein Institut eingeht, auf eine Art auch organisiert sein muss. Und das Material soll ja im Grunde auch der Forschung und Interessierten zur Verfügung stehen, auf welche Weise auch immer.
Ich habe keine Ahnung, wie zum Beispiel das Literaturarchiv organisiert ist.
Das Literaturarchiv Marbach hält in der Debatte immer als Referenz her.
Wie machen die das? Wie kommen sie zu Entscheidungen und wie organisieren sie dann die Sachen?
Auf jeden Fall haben sie viele Sachen – sehr viel mehr, als gegenwärtig für das Bundesinstitut für Fotografie vorgesehen ist. Die Frage, die uns umtreibt, ist ja: Wie kann man Arbeitsweisen von Fotograf*innen abbilden? Ist das überhaupt möglich? Unsere Vorstellung oder Idee war, Gespräche mit Leuten zu suchen, die jeweils ganz unterschiedlich mit ihrem Material umgehen. Denn irgendwann wird festgeschrieben werden, wie mit den Sachen umgegangen wird. Machst du dir darüber überhaupt Gedanken?
Nein, bisher noch nicht. Es ist ja alles noch im Fluss oder in der Entwicklung.
Die Frage, wo die Arbeit adäquat und gut aufgehoben wird, stellt sich ja irgendwann. Oder stellt sie sich auch nicht? Dazu wäre es interessant zu erfahren, wie du mit deinem Material umgehst.
Auf jeden Fall ist alles im Fluss. Ich habe zum Beispiel keine Artist-Prints oder Proofs, also Abzüge, die ich speziell für mich aufhebe. Sondern es gibt die Edition – das sind normalerweise fünf Exemplare von Arbeiten, die ausgestellt werden, zum Beispiel in der Galerie. Und trotzdem nehme ich immer auch für die Galerieausstellung – so, wie ich es sonst auch mache bei einer Ausstellung – aus einem großen Fundus Bilder mit und entscheide dann vor Ort. In jedem Fall sind die Editionen Arbeiten, die in irgendeiner Form ,fertig‘ sind. Aber manchmal kommt eben in Ausstellungen auch Material dazu, das ich dann einsetze, um in den Raum noch etwas reinzubringen, was reingehört. Manchmal sind es kleine Prints, die ursprünglich eher Arbeitsprints sind und vielleicht in der Vitrine landen oder aber auch an der Wand.
Aber du legst dich auf eine Auflage fest?
Ja, das ist jetzt so. Zunächst ist es so, dass ich nicht immer die ganze Auflage herstelle. Ich mache erst einmal nur ein Bild, das ich konkret brauche. Deswegen unterscheiden sich die Abzüge meist auch. Es kann auch sein, dass sich dabei Größe oder Ausschnitt nochmal ändern – also sie können schon ganz schön unterschiedlich sein.
Es ist dir also wichtig, eine große Freiheit zu erhalten? Indem du zum Beispiel mit Formaten spielst und nicht unbedingt immer alles fertig produzieren musst, sondern nach deinen Notwendigkeiten entscheidest, ob irgendwann nochmal eine Arbeit anders ausgearbeitet wird?
Ja.
Das ist eine relativ radikale Haltung – in einem Markt, der ja alle diese Parameter festgelegt wissen will.
Das einzig Verbindliche ist, dass die Auflage festgelegt ist.
Stichwort ,Sachen dabeihaben‘. Kennst du dich eigentlich in deinem Bildarchiv aus? Wie greifst du auf dein Material zu? Wie hast du es abgelegt? Hast du alles ganz genau abgelegt? So, dass andere sich zum Beispiel darin zurechtfinden würden? Oder ist es ein Archiv, womit nur du klarkommst?
Ja, oder ich habe gar kein Archiv?
Die Negative?
Ja, die Negative sind sozusagen das Archiv.
Und dann hast du Kontaktbögen?
Nein, Kontaktbögen habe ich nicht, aber ich mache immer direkt kleine Prints. Ich wähle bereits im Negativ aus und mache dann die kleinen Prints, mit denen ich arbeite, die dann vielleicht nur ein Drittel der Negative abbilden. Das ist im Grunde das Ausgangsmaterial, das Bild, das ich auf dem Tisch liegen habe.
Du hast also Schachteln mit ganz viele kleinen Prints? Die du dir dann rausholst und anfängst zu kombinieren und …
… durchzugucken. Das Ordnungssystem ist natürlich dann nochmal ein anderes Thema.
Aber du hast ein System?
Ich weiß nicht genau, wo ein System anfängt. Es gibt auf jeden Fall eine Ordnung, sowohl nach Themen als auch nach Zeiten.
So eine Schachtel zu sehen, wäre mal interessant.
Ich mache solche kleinen Prints, zwischen Postkarte und halber Postkarte groß. Dann werden die erstmal in eine neue Kiste gepackt. Ich gucke mir die immer wieder mal an, in den Monaten danach. Sie sind also erstmal nach Jahren sortiert. Es gibt unterschiedliche Strategien, wie ich mit dem Material umgehe. Es gibt Kategorien, und wenn die da hineinkommen, dann bleiben die da auch meistens drin liegen – aber eigentlich geht es darum das Material frisch zu halten …
Das heißt, das Material befindet sich in unterschiedlichen ,Karteikästen‘. Finden sich dann in den unterschiedlichen Karteikästen auch identische Bilder oder taucht jedes Bild nur einmal auf?
Nur einmal.
Das heißt 2017 Orchidee kommt entweder zur Orchidee oder kommt zu 2017 – und dann suchst du manchmal drei Stunden lang nach einem Bild?
Die Suche ist ein großer Teil des ganzen Projekts. Das Bild kann sich im Laufe der Bearbeitung in verschiedenen Kategorien wiederfinden. Ich möchte es möglichst produktiv und offen halten. Es geht schon immer um die Betrachtung des Bildes, um das, was man in der Hand hat. Wenn es etwas Interessantes gibt, dann nehme ich es für diese Skizzen Blätter aus dem Schachtelsystem heraus.
Und dann sind sie auch draußen?
Ja, dann sind sie auf diesen Bögen.
Auf diesen Papierbögen fängst du also an zu gestalten.
Es ist weniger ein Gestalten. Vielmehr schaue ich mir die Fotos an, um dann auf Irgendetwas zu kommen. Um das festzuhalten, fixiere ich sie auf einem Blatt. Heute morgen habe ich zum Beispiel dieses hier gemacht [zeigt auf ein Blatt]. Da gibt es jetzt diese Wolkendecke und ein kleines Foto mit einem Horizont. Das ist eigentlich die Hauptarbeit: die Fotos angucken. Oder hier [zeigt auf ein anderes Blatt]: Augenstrukturen bei Mollusken Säugetieren oder Gliedertieren und ihre Schutzstrukturen drumherum. Darauf würde man gar nicht kommen, wenn man das jetzt hier nicht so zusammengestellt sähe. Und diese Zusammenstellung habe ich nun auch in einer Vitrine in der aktuellen Ausstellung.3
Und auf der Rückseite ist wieder etwas anderes.
Eine andere Version.
Der Status dieser Blätter ist also: Arbeitsmaterial?
Ja. Aber ich nehme sie auch manchmal zu einer Ausstellung mit als eine Art Rückversicherung. Oder auch zum Improvisieren. Und dann passiert es ab und zu, dass ich die Bilder herauslöse (obwohl ich es nicht möchte) und in die Ausstellung hänge. Ich bekomme einige nicht wieder zurück, die ich dann niemals wiederfinde. Dann löst sich das auf. Bei aller Neigung zum Festhalten verteilt sich auf die Art wiederum alles.
Ist ja vielleicht auch ein befreiender Gedanke. Die Bögen, auf denen du deine Bilder zueinander setzt, haben ja alle das gleiche DIN-Format. Wenn du die Bilder zusammenfügst, achtest du auch auf die Größenverhältnisse der Bilder zueinander?
Nur wenn es um Größenverhältnisse geht, dann ja. Aber sonst: nein.
Es scheint insgesamt bei dir eine Nähe zu Aby Warburg zu geben in dem Versuch, Verwandtschaften oder Gruppen festzulegen.
Das kann ich nicht unbedingt bestätigen. Es gibt natürlich das gleiche Arbeitsmaterial– die Fotografien –, das könnte man sagen. Dadurch ergibt sich schon mal vieles, Ähnlichkeiten oder äußere Ähnlichkeiten? Oder worauf wolltet Ihr jetzt hinaus?
Dieser Moment nach Ähnlichkeiten, nach Verwandtschaften zu suchen trotz unterschiedlicher – wie sagt man – Sprachen, der ist vielleicht da. Beziehungen über Bildsprachen aufbauen. Vielleicht kann man sich darauf verständigen, dass du ja offensichtlich auch nach Beziehungen der Bilder untereinander suchst – oder sie ergeben sich. Andererseits kann man natürlich sagen, dass in der Geschichte der Fotografie das serielle Prinzip von Vielen verfolgt wird.
Serielles gibt es gar nicht so viel bei mir, würde ich sagen. Man könnte vielleicht höchstens nachträglich Serien konstruieren. Tut man ja vielleicht, wenn man sie nach Themen sortiert.
Vielleicht könnte man zu dem Schluss kommen, dass viele Bilder oder die, die du auswählst, auch als Einzelbild funktionieren. Und trotzdem geht es dir ja ganz oft um Konstellationen, die du herstellt.
Konstellationen, ja, das ist natürlich etwas anderes.
Vielleicht auch deshalb diese Idee der Warburg’schen Bildtafeln, wegen Deiner Konstellationen oder vielleicht sogar Tafeln, wie sich das jetzt hier zeigt, wenn etwas auf einem Blatt zusammenkommt?
Es geht eigentlich immer darum, anhand des Fotos etwas zu sehen oder auf dem Foto etwas zu sehen. Manchmal braucht man dazu mehrere Bilder, damit etwas zusammenkommt. Und manchmal reicht nur eins.
Ist es nicht auch schmerzhaft, wenn Bilder aus den Tafeln oder Konstellationen, wie du sie auf den Blättern festhältst, einfach rausgehen? Gleichwohl ist es interessant, dass du dir die Freiheit nimmst, sie einfach zu verwenden. Aber fehlen sie dann nicht in diesem Kontext?
Gemessen an Malern oder Zeichnern hat man ja immerhin noch das Negativ.
Aber genau diese Konstellationen machen ja einen großen Teil deiner Arbeit und wie du sie präsentierst aus. Und aus so einer sind sie dann jeweils raus, außer jemand kauft halt eine ganze Wand. Wenn sie einzeln herausgenommen werden, ist ja dieser Teil deiner Arbeit in dem Moment wieder negiert. Der ist dann erstmal nicht mehr da und war eigentlich nur eine Momentaufnahme.
Momentaufnahme, das könnte man so sagen. Manchmal denkt man ja, das ist jetzt ein super Raum geworden. Deshalb finde ich es natürlich erstrebenswert, dass Sachen zusammenbleiben.
Die Vorgabe, dass die Konstellationen nur zusammen weggehen, machst du nicht?
Das könnte man machen. Wahrscheinlich habe ich es auch schon gemacht. Aber meistens reicht es mir, wenn es das einmal gegeben hat. Wenn es also für jedes Motiv fünf Exemplare gibt, reicht es vielleicht, wenn es einmal in der Konstellation ist oder bleibt. Es ist ja eher selten dass es eine feste Wandkonstellation gibt, meistens sind es kleinere feste Gruppen oder Einzelbilder, die ich in jeder Ausstellung auch mit neuem Material thematisch weiterentwickle.
Wenn ein weit entferntes Museum eine Ausstellung mit deinen Arbeiten machen möchte und du da nicht hinkommen kannst, würdest du dann Pläne schicken, wie was hängen soll? Die Frage ist eigentlich: Wie weit gibst du das auch aus der Hand?
Bisher habe ich das noch nicht gemacht.
Würdest du mit Modellen arbeiten?
Ja, vielleicht kann man sich da reinarbeiten.
Wie könntest du dir vorstellen, dass jemand durch deine Arbeit navigiert? Zum Beispiel über die Dokumentation deiner Ausstellungen? Um Arbeitsweisen sichtbar zu machen? Wäre das ein Anhaltspunkt, um in den Versuch einer Ordnung einzutauchen?
Es gibt Ausstellungen und die Bücher. Das sind eigentlich die beiden Dinge.
Hier im Atelier gibt es ja auch eine Organisation. Aber eine Organisation, die für Dritte vielleicht erstmal nicht unbedingt zu durchdringen ist.
Ich möchte das eigentlich gar nicht Archiv nennen, sondern eher Zustand eines Arbeitsprozesses – wo man quasi dran ist. Ein Archiv habe ich eigentlich nicht, das sind ja eher so Kisten, wo man dann die Sachen reintut, die man nicht mehr braucht.
Datierst du deine Fotografien?
Nur, wenn ich sie weggebe.
Datierst du deine Negative?
Ja, seit ein paar Jahren.
Hast du Sorgen, wenn du das Material loslässt und in irgendwelche Hände gibst, wenn du es also nicht mehr kontrollieren kannst?
Glaub ich nicht. Also könnte ich mir nicht vorstellen.
Eigentlich müsste alles zusammengehalten werden, um deine Arbeitsweisen auch zeigen und vermitteln zu können.
Muss man das?
Insgesamt entziehst du dich ja in der Art und Weise, wie du mit deinen Bildern umgehst – jenseits von wenigen Parametern wie einer Auflage und Größen – vielen Standards. Du scheinst mit deinem Material sehr verbunden. Und wenn man jetzt aufgefordert wäre, ohne deine Stimme oder Physis damit umzugehen, tauchen jede Menge Fragen auf. Deshalb überrascht es, wenn du sagst, dass du dir vorstellen kannst, die Kontrolle über den Umgang mit deiner Arbeit abzugeben. So, wie dein Umgang mit deinen Bildern ist, geht das doch eigentlich kaum.
Ja, aber was macht man dann? Hat man dann irgendwann ein Problem damit? Es wäre noch weniger meiner Art entsprechend, würde ich jetzt genaue Vorgaben machen, wie man damit umzugehen hätte.
Du könntest höchstens die Vorgabe machen, dass man nicht damit umzugehen hat.
Wie soll man das machen?
Dann müsste man einen Weg finden, zum Beispiel diese Studiosituation zu erhalten wie bei – wie heißt dieser tolle polnische Künstler, dessen Atelier erhalten ist?
Edward Krasiński?
Ja! Dann wäre dieses städtische Atelier allerdings nicht mehr für andere Künstler*innen verfügbar.
Meins ist aber nicht städtisch.
Ist nicht städtisch?
Nein, Genossenschaft.