Wolfgang Tillmans
Ich glaube nicht wirklich an die Möglichkeit absoluten Schutzes oder an die Minderwertigkeit eines leicht veränderten Blatts.

LA

Die Düsseldorfer Initiative rund um Andreas Gursky setzt sich ja unter anderem dafür ein, dass in einem von ihm konturierten „Deutschen Fotoinstitut“ neben Ausstellungsflächen auch Voraussetzungen für die Neuproduktion von Prints geschaffen werden.1 Diese Idee hat unter anderem bewirkt, dass gegenwärtig vermehrt Fragen nach dem technischen Gebrauch des Mediums verhandelt werden oder auch die Fotorestaurierung intensiver in die Debatte rund um das Fotoinstitut einbezogen wird. Das Papier, das die Gruppe rund um Thomas Weski im Auftrag von Kulturstaatsministerin Monika Grütters entworfen hat,2 hat etwa Restaurierungsfragen mit angesprochen. Essen entwickelt sich gerade zu einem neuen „Zentrum für Fotorestaurierung“.3 Es wurden zwei neue Stellen eingerichtet.

WT

Im Museum Folkwang?

LA

Ja, im Museum Folkwang im Verbund mit der Folkwang Universität der Künste, dem Historischen Archiv Krupp und der Stiftung Ruhr Museum. Es entsteht unabhängig von der Institutsfrage. Aber es unterstreicht den Anspruch auf den Standort Essen als möglichen Sitz eines zukünftigen Instituts für Fotografie.

WT

Mir fällt auf, dass es bei den Restaurator*innen wenig Vernetzung zu geben scheint. Und dass eine große Scheu existiert, zum Beispiel mich als Künstler oder Produzenten zu fragen, selbst dann, wenn es unmittelbar meine Arbeit angeht. Manchmal kriege ich mit, dass meine Arbeiten falsch gelagert werden. Meine ungerahmten Inkjet-Prints zum Beispiel müssen nach innen gerollt werden. In der Malereirestaurierung und -lagerung wird eine Leinwand dagegen immer nach außen gerollt. Meine Arbeiten erreichen das Museum immer nach innen gerollt, mit genauen schriftlichen Instruktionen für die Installation. Wenn das Bild dann später abgenommen wird, liegt es jedoch nur noch in der Verantwortung der Restaurator*innen, und deren Regeln sind manchmal andere. Oder jemand hat mir von einem Museum erzählt, das einen Weg gefunden hat, die Arbeiten in ihrer ganzen Größe flach zu lagern, was leider auch nicht richtig ist, da meine Prints an der Wand hängend eine ganz bestimmte Papierspannung und Wölbung brauchen. Und die haben sie eben nur, wenn sie nach innen gerollt gelagert werden. Das nur als Beispiel, wie so ein Detail in meiner Praxis aussieht.

LA

Gurskys Vorstoß kann man womöglich als Ausdruck eines Wunsches verstehen, nach neuen Wegen im Umgang mit dem sensiblen Material zu suchen. Es wurde in der Vergangenheit an vielen Stellen deutlich, dass es neue verbindliche Standards braucht. Das ist allein dadurch schwierig, da Künstler*innen ganz unterschiedlich arbeiten.

WT

Meine Position ist da insofern speziell, da ich bestimmte Aspekte der Vergänglichkeit und Fragilität in meiner Arbeit von Anfang an mitbedacht habe. Bereits 1993 hatte ich angefangen, ungerahmte Tintenstrahldrucke auszustellen, bei denen das Neudrucken konzeptuell in die Zertifikate miteinbezogen war und bis heute ist. Sammler*innen und Institutionen, die einen ungerahmten Tintenstrahldruck kaufen, bekommen von mir seit 1993 ein entsprechendes Zertifikat sowie einen Originalprint (heute die Originaldatei und eine Farbvorlage) dazu, von dem aus der Print gemacht wurde, die dann zusammen kühl und sicher gelagert werden können. Das Zertifikat enthält die Anleitung, wie und mit welchem Printer man die Arbeit vergrößert ausdruckt oder mit Verweis auf den Umgang mit in Zukunft existierenden Techniken. Das ursprünglich gekaufte Bild muss dann zerstört und dem Studio oder den Galerien, die dort genannt sind, übergeben werden. Dieser Austausch bedingt also die Zerstörung des ursprünglich existierenden Bildes. Diese Spannung, praktisch ein Widerspruch des Sammelns, hat mich seit den 1990er-Jahren interessiert. Die Vorstellung allerdings, dass heute der Re-Print als Allheilmittel für alle Farbfotografien angesehen wird, kann ich nicht teilen, schon angefangen bei meinen Unikaten und auch den skulpturalen Lighter-Arbeiten.

LA

Ist so ein Neudruck beziehungsweise Austausch schon mal passiert?

WT

Natürlich! Ich mache das jetzt seit 30 Jahren. Das war nicht nur der Notwendigkeit des Werkerhalts geschuldet, ich fand das auch konzeptuell höchst interessant. Die großen ungerahmten Inkjet-Prints haben ja eine Auflage von 1. Am Anfang habe ich die mit einem großen Fotokopiergerät, dem Canon Bubble-Jet Copier A1, gemacht. Der hatte eine DIN A1-große Glasscheibe, durch die gescannt wurde, und darunter war ein Tintenstrahldrucker der ersten Generation eingebaut. Das war ein irres Gerät. Das Bild habe ich in zwei Teilen auf einer 59 cm breiten Rolle vergrößert, die ich dann zusammengeklebt habe. Es war von vorneherein klar, dass die Arbeiten nicht lange halten würden. Mir aber ging es genau um das Gefühl, die Tinte im Papier direkt vor meinen Augen mechanisch ungeschützt zu sehen, daher die ungerahmte Hängung. Deshalb ist es wichtig, dass Sammler*innen, falls etwa ein Windstoß das Bild von der Wand bläst, es wieder neu herstellen können. Ebenso war es wichtig für mich, lediglich mit einer Schachtel Vorlagen in eine andere Stadt reisen zu können, um dann dort in einem Copyshop die Vergrößerungen zu machen. Aus dem Jahr 1996 gibt es ein Foto, das Jochen [Klein] gemacht hat, auf dem ich mit einer Kuriertasche, aus der eine Rolle herausragt, zum Flughafen nach Heathrow fahre, um meine Bilder bei New Photography im MoMA, New York, aufzuhängen.4 In dieser Rolle befanden sich ein 180 × 270 cm und zwei 120 × 160 cm große Bilder, die insgesamt höchstens zwei Kilo wogen. Diese ganze Idee von Vergänglichkeit und auch die des leichten Transports war bereits in dieser Anfangsphase meiner Arbeit enthalten.

LA

Was ist denn die Vorlage, mit der das Original wiederherstellbar ist?

WT

Das ist der C-Print selbst, den ich vergrößert habe. 1999 habe ich dann meinen ersten eigenen freistehenden Tintenstrahldrucker gekauft und damit die Bubble-Jet-Kopien ersetzt. Seit 1999 gab es zum Inkjet-Print den C-Print, den Scan auf CD und das Zertifikat. Anfang der 2000er stellte man fest, dass die Farbstabilität der C-Prints auf Dauer nicht vorhält. Zugleich zeigte sich, dass Tintenstrahldrucke langlebiger sind. Ab da habe ich dann nicht mehr die Vorlage mitgegeben, sondern den Datensatz, der ja sowieso, seit ich um 2010 auf das digitale Fotografieren umgestiegen bin‚ das ,Negativ‘ ist. Eine TIFF-Datei wird man auch in 30 Jahren noch benutzen oder sie dann upgraden und umspeichern können. Was man aber in jedem Fall braucht, ist eine verbindliche Farbprobe. Deshalb ist die gängige Praxis seit circa 15 Jahren bei mir, dass man einen archivfesten Tintenstrahldruck erhält, der anzeigt, wie das Bild aussehen soll. So habe ich dieses System praktisch ständig weiterentwickelt, was wiederum bedeutet, dass in diesen Arbeiten – konzeptuell – die Intention enthalten ist, dass die Bilder immer wieder ,neu‘ aussehen. Dagegen hat es in der Fotorestaurierung in den letzten Jahren richtigerweise Anstrengungen gegeben, sich den Bildern, so wie sie sich damals angefühlt haben, anzunähern. Dabei wurde aber häufig die Erfahrung gemacht, dass dies mit den heutigen Mitteln nicht wirklich funktioniert. So versucht man heute, neuen Prints von alten Fotos den Charakter einer gewissen Alterung zu geben. Damit arbeite ich jetzt auch, um in meinen Wandinstallationen einen 25-Jahre-alten C-Print neben einem Re-Print von diesem Jahr hängen zu können.
Fotokopien halten sich übrigens mit am besten. Ein Blatt von 1987 hing letztes Jahr in meiner Ausstellung in Brüssel im WIELS, also 33 Jahre später – völlig unverändert. Meine C-Prints habe ich bis 1995 alle selbst per Hand auf Kodak-Papier abgezogen. 1995, als ich in New York lebte, hörte ich dann von dieser Koryphäe, die die Haltbarkeit von Farbfotografie untersucht hat. Henry Wilhelm hieß der. Er hat eindeutig festgestellt, dass die Haltbarkeit von Fuji die beste war. Da bin ich auf Fuji umgestiegen. Meine C-Prints habe ich immer datiert, sowohl mit dem Fotodatum als auch mit dem Printdatum und meinen Initialen, wenn der Print bei oder von mir hergestellt wurde.
Ende der 2000er zeigte sich, dass manche Bilder – Kodak, frühe 90er – in den weißen Rändern Gelb wurden. Manche bekamen sogar pinke, wolkenartige Verfärbungen, das sogenannte dark-fading. Das Gelbe sind eher Vergilbungen des Papiers, des Plastikträgers. Ich erzähle das, weil ich 2012 einen kurzen Schockmoment erlebte. Denn in diesem Jahr begannen meine Gespräche mit Roxana Marcoci über einen Erwerb meiner Arbeiten für das MoMA in New York. Damals sagte sie zu mir: Wir müssen immer zwei identische Prints in die Sammlung zeitgenössischer Fotografie aufnehmen. Das ist die Bedingung. Keine Farbfotografie kommt in unsere Sammlung, wenn es nicht zwei identische Prints gibt. Ich erklärte ihr, dass ich seit 1992 dieses 61 × 51 cm große Blatt von Lutz & Alex sitting in the trees zurückgehalten habe, weil ich immer dachte: Das soll ins MoMA. Jetzt gab es also diesen sehr gut erhaltenen Vintage-Print (wobei Vintage für mich keine besonders genaue Bezeichnung ist) mit superguten Farben und diesem leicht cremigen Hintergrund. Nicht alle Kodak-Papiere aus den frühen 1990ern haben sich unschön verändert, manche haben einfach nur ein angenehmes „Creme“ entwickelt, was man übrigens einer Zeichnung auf Papier auch nicht anlasten würde. Damals musste ich von dem Bild aber tatsächlich zwei digitale Neudrucke machen, mit laserbelichteten Scandaten. Als ich 2011 mit dem Studio von London nach Berlin umgezogen bin, habe ich dafür mit meinem damaligen Assistenten Simon Menges intensive Druckexperimente gemacht. Das Bild hatte dann natürlich diesen neuen, knallweißen Papierrand. Bei vielen Bildern entsteht dadurch eine gute Qualität, bei anderen kann ich einfach sehen, dass sie nicht optisch vergrößert sind. Da gibt es dann eine leichte Textur, eine Oberflächlichkeit, deren digitalen Ursprung man erkennen kann. Die digitalen Neudrucke von Lutz & Alex sitting in the trees sind dann ins MoMA gegangen. Das war leicht zu verantworten, da das Bild Teil einer ungerahmt zu hängenden Gesamtinstallation war. Apropos: Spätestens ab 2002 habe ich den Museen aktiv gesagt: Ihr müsst die Bilder kleben – auch wenn ich natürlich verstehe, dass ihr sie nicht kleben dürft, weil es heikel ist und nicht im Lehrbuch der Restaurator*innen steht.

LA

Was meinst du mit kleben?

WT

Das Befestigen der Prints an der Wand mit Scotch Magic Tape, mein Installationswerkzeug seit 1993. Ich habe ihnen auch gesagt: Damit ihr die Bilder klebt, gebe ich euch kostenlos einen Satz identischer Ausstellungskopien dazu. Bei einem Ankauf der Tate London war dann eine riesige Herausforderung, diese korrekt zu klassifizieren. Denn für diesen Satz unsignierter Originalfotografien, die letztendlich aufgebraucht werden sollen, gibt es in deren System keine Kategorie. Eine Originalfotografie, ob signiert oder nicht, fällt unter dasselbe Handling und muss 100% bewahrt, darf also nicht „verbraucht“ werden. Wenn man den Installationssatz wiederum als Dokumentationsmaterial deklariert, also nicht als Kunst, wird er nicht gleichartig bewahrt, geht ins Archiv und ist dann wiederum nicht aktivierbar, um ihn an die Wand zu bekommen.

LA

Ist es nicht inzwischen zum Standard geworden, dass bei einem Ankauf von Fotografien immer zwei Prints gegeben werden?

WT

Ja. Die amerikanischen Museen haben diesen Standard definiert. Für mich war es nur erstaunlich, dass der Vintage-Print nach dieser Logik keinen Wert mehr hatte.

LA

Wo ist der Vintage-Print jetzt?

WT

Der ist jetzt als Ausstellungsprint bei mir. Nummerierungsnummer und Signatur sind ausgekreuzt.

LA

Das kann man also machen. Man kann eine Nummerierung auskreuzen.

WT

Ja, dann ist das eben ein Arbeitsprint. Oder eine Ausstellungskopie, die ich für Ausstellungen verwende. Ein solcher Print darf ausgestellt, nur eben auf keinen Fall verkauft werden. Es sind nie mehr Bilder im Umlauf als die, die ich am ersten Tag einer Edition bestimmt habe. Da mache ich nie Ausnahmen, das Vertrauen in die Editionsgrößen ist ganz wichtig.

LA

Wie ist das bei der Produktion von Editionen: Arbeitest du die direkt aus? Ist die schon bei der Produktion mitgedacht?

WT

Konkret geworden mit dem zweiten Satz ist das 2003 bei der Tate. Da merkte ich: Ich muss das jetzt ganz aktiv forcieren, ohne Mehrkosten für die Museen. Man kann die Prints, wenn man das gut macht, aufkleben und hinterher wieder von der Wand lösen. Aus diesem Grund arbeite ich mit dem Scotch Magic Tape, mit dieser Klebetechnik von hinten und vorne. Aber ich habe dann auch gemerkt: In den Museen wird das nie wieder hängen, wenn ich das nicht aktiv möglich mache. Wenn Fotografie nur unter Bedingungen in eine Sammlung kommt, dass sie praktisch nie mehr so gezeigt werden kann, wie es vom Künstler gedacht ist, dann existiert sie ja praktisch nicht. Deshalb habe ich auch immer ein paar Bilder mehr abgezogen, denn natürlich fällt mal eins von der Wand oder brennt mal ein Haus ab. Ich hab da schon dolle Dinger zurückbekommen. Das passiert einfach, wenn Hunderte von deinen Bildern in der Welt sind. Der erste Satz an Drucken, den ich der Tate dann gab, war signiert, der zweite unsigniert. Der ist, ich will nicht sagen hochwertiger als die Ausstellungskopie, aber die Dunkelkammerarbeit bedeutet …

LA

… immer eine Annäherung.

WT

Auf der Rückseite meiner Prints gibt es eine klare Qualitätscodierung. Da sind die Editionen aufgeführt, und dann gibt es XA, das ist die über die 10 oder die 3 Editions-Exemplare hinausgehende Extrakopie. Das A bedeutet hier, dass der Print qualitativ absolut gleichwertig ist. Dann gibt es XB, der ist ganz leicht anders, vielleicht die letzten zwei, drei Vergrößerungen, bevor die perfekte Filtrierung erreicht wurde. Ich sehe die als fast gleichwertig an. XC ist schon erkennbar abweichend – nicht schrecklich –, aber schwächer als XB. Einen XC würde ich nicht upgraden und signieren. XF schließlich ist faulty, die werden zerstört. Jetzt, wo ich die Ausstellung im MoMA vorbereite und bei einzelnen älteren Arbeiten feststelle, dass es keinen unversehrten XA oder AP mehr gibt – allein mechanisch kann in 25 Jahren mit so einem Blatt einiges passieren – stehe ich vor der Wahl: Mache ich einen neuen Print? Oder nehme ich diesen XB, der damals farblich vielleicht ein Mü anders war, aber heute, unter den ganzen Parametern, die sich verändert haben, voll okay ist? Was ich nicht gemacht habe, um auf die Frage zurückzukommen, ist, gleich alles zu doppeln. Ich glaube nicht wirklich an die Möglichkeit absoluten Schutzes oder an die Minderwertigkeit eines leicht veränderten Blatts. Damit kann man umgehen, das kann man hängen, wenn man es richtig macht. Eher glaube ich an die Aufmerksamkeit und Sorge bei der Herstellung des Blatts.
Um 1999 habe ich mit großen gerahmten Arbeiten angefangen. Getrennte Editionen, konzeptuell völlig unterschiedliche Arbeiten. Jeweils in einer Auflage von 1 und einem Artist Proof. Seit dieser Entscheidung wurde ich immer mal gefragt: Was, du erlaubst, dass die Bilder gerahmt werden? Dann habe ich immer gesagt: Es geht auch darum, ein alternatives Bilderlebnis zu ermöglichen. Und die Purheit des Blattes kann ich klebend an der Wand nur für sechs Monate garantieren. Dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass eine Fliege drauf scheißt, einfach zu groß. Nicht zu vergessen die Umweltluft, die sich in die Gelatine hineinsaugt. Das gerahmte Bild ist da wesentlich geschützter und damit nach einigen Jahren purer als das an der Wand klebende Ungerahmte. Diese gegenläufigen Aspekte haben mich immer fasziniert. Viele Leute irritiert das. Die wollen eine Schablone. In dem Moment, in dem mir klar wurde, dass von mir das Ungerahmte erwartet wird – rund um 1999 – habe ich den Rahmen aktiv ins Werk aufgenommen.

LA

Jenseits der Inhalte, die du auf deinen Bildern verhandelst, ist das ein Moment, der die Rezeption deiner Arbeit stark begleitet. Sich einen immer wieder neuen Zugang erlauben.

WT

Seit dem MoMA-Ankauf von 2012 wurden diese digitalen Neudrucke so gut, dass ich damit gut leben konnte. Ab diesem Zeitpunkt habe ich dann auch sehr stark gegilbte Bilder für Sammler*innen, die danach fragten, ausgetauscht.

LA

Auch für Institutionen?

WT

Das kommt vor. Wie gesagt, die Idee des Austauschs ist seit 1992 konzeptuell in meinen ungerahmten großformatigen Tintenstrahldrucken verankert – für sie ist es ein ganz normales Prozedere. Die Staatsgalerie Stuttgart hängt daher ganz selbstverständlich diese Art meiner Arbeiten im Malereisaal bei voller Lichteinstrahlung. Wegen der hohen Lichtbeständigkeit der Pigmenttinten kommt es eigentlich nie mehr zu Neudrucken wegen Verfärbungen, sondern nur durch mechanische Beschädigungen des ungeschützten Papiers. Ich habe eine Struktur aufgebaut, wie so ein Ersatz gegen Zahlung der Kosten erstellt wird. Kommt es dagegen zu Beschädigungen an C-Prints, die nicht diese konzeptuelle Ersetzbarkeit eingebaut haben, aber dafür ihren ganz eigenen formellen Reiz haben, gibt es nicht das Recht auf einen neuen Print. Bei nicht fahrlässigen Fällen helfe ich natürlich auch da. Aber wie gesagt, ich will, dass die C-Prints in ihrer Originaltechnik erhalten werden, ich kann mit diesen Veränderungen leben, sie gehören einfach zum Leben dazu. Es sind zwei koexistierende Ansätze.

LA

Die Arbeiten im Rahmen sind 1er-Auflagen?

WT

Ja, immer mit einem AP. Den ich für Institutionen oder besondere Zwecke zurückhalte. Nochmal zu dieser Koexistenz. In den letzten zehn Jahren habe ich weitere große Ausstellungen mit Bildern gemacht, die bereits in den 2000er-Jahren getourt sind – die Südamerika-Tournee mit vier Museen, verschiedene Ausstellungen in Japan und Europa. Dabei kam es vor, dass ich nur noch einen Print hatte und die Frage aufkam: Willst du den wirklich mit auf die Tour nehmen? Ab 2012 bin ich dann dazu übergegangen, neben Original-C-Prints zunehmend auch Nachdrucke, also digitale Ausstellungs-C-Prints auszustellen. Bereits in den 2000er-Jahren habe ich Bilder aus den 1990ern analog neu vergrößert. Das Papier war in den 2000er-Jahren aber noch anders, kontrastreicher. So bin ich durch drei Jahrzehnte gegangen: Erst gab’s nur den 1990er-Print, dann die 2000er Re-Prints in der Dunkelkammer von den 1990er-Bildern, dann in den 2010er-Jahren zum Teil Originale aus den 1990er-Jahren, schließlich neue Dunkelkammer-Re-Prints sowie digitale Re-Prints. Mit der Vorbereitung der MoMA-Ausstellung5 bin ich in ein Riesenprojekt eingetreten: Was gehört in eine Retrospektive? Welcher Druck eines Bilds kommt an die Wand? Was genau ist das Bild? So habe ich vor anderthalb Jahren angefangen, noch einmal genauer hinzusehen. Dabei ist mir klar geworden, dass ich die Verfärbungen zum Teil absolut akzeptabel finde, im Gegensatz zu manchen der digitalen Re-Prints. Deshalb möchte ich jetzt im MoMA – die Ausstellung ist coronabedingt auf September 2022 verschoben – diese frühen Prints durchaus neben andere neuere hängen. Die mehr und mehr um sich greifende Praxis, alles einfach komplett neu zu printen, und Ausstellungen nur mit Ausstellungskopien zu bestücken, passt nicht zu mir, ich mag diese eigene Mischung.

LA

Darüber kann sich auch eine Geschichte von Materialitäten abbilden. Und doch wirft das ein Stück weit die Frage auf, welches die letztgültige Version ist, und sei es nur für die Nachwelt.

WT

Finde ich nicht. Schon bei August Sander stehen die Bilder, die er 20 Jahre später oder sein Sohn 30 Jahre später nochmal gemacht hat, nebeneinander. Das zuletzt gemachte ist ja nicht wertlos. Es ist, was es ist.
Ich kam jetzt also auf die Idee, die Bilder, die zu stark gegilbt sind, digital neu zu vergrößern, aber mit einem leichten Papierton. Das hatte bereits in den 1990er-Jahren ein Speziallabor in London gemacht: die Bilder minimal vorbelichten, um ihnen einen Ton zu geben. Ich bin dann zu den Printern der Firma Recom, ein Spezialistenlabor in Berlin, gegangen und war wirklich positiv überrascht, dass es in den Diskussionen und der sich daran anschließenden Praxis mittlerweile darum geht, gewisse Eindrücke zu emulieren, also bestimmte Farbwertkurven von alten Papieren auf neuen Papieren zu simulieren.

LA

Da geht es wohl auch um die Historizität des Bildes, die man auf diese Weise vermittelt – wenn man also Verfahren anwendet, mit denen sich die Geschichtlichkeit des Bildes, seine zeitspezifische Anmutung, transportiert. Ist es das?

WT

Entscheidend war, dass ich mir einige digitale C-Prints aus den 2010er-Jahren nochmal genauer angesehen und dabei eine Digitalität entdeckt habe – ein bestimmtes Rauschen in Hauttönen zum Beispiel –, die mir nicht gefiel. Das gilt nicht für Abzüge von digitalen Fotos, nur bei der Übersetzung vom analogen Korn zum Beispiel gab es Schwierigkeiten. Worüber wir hier sprechen, übrigens, sehen 99% der Leute gar nicht, woran wir arbeiten, ist natürlicherweise am Rand des Möglichen angesiedelt. Damals gab es noch nicht die Technik, um dem analogen Foto seine ursprüngliche Qualität zu geben. Das ist das eine. Und heute gibt es Methoden, mit denen gesichert ist, dass das Bild aussieht wie vom Negativ vergrößert. Dann stellt sich die Frage: Auf welchem Träger? Was die Historizität des Bildes angeht und ob man die simulieren muss: Da gibt es wirklich keine Regel. Die einen sagen: Das ist jetzt wieder so ein Weiß, wie es das 1996 gab, und das wird in zehn Jahren wieder genauso cremig sein. Die anderen sagen: Ich möchte genau den aktuellen Zustand einfrieren und auf ein neues Papier von Fuji drucken. Maxima heißt das Papier, das erste für den Kunstbereich hergestellte Papier, das eine ganz andere Haltbarkeit aufweist. Ich bin da in diesem Jahr eingestiegen und merke plötzlich, dass es da ein erweitertes Qualitätsniveau und neue Überlegungen gibt. Es wird daran gearbeitet, dass die Bilder so aussehen, dass sie ihrer Zeit entsprechen.

LA

Gibt es so etwas wie ein Skript zu jedem Motiv, zu jeder Arbeit? Hinterlegst du für jedes Motiv die Schritte, die du dafür gegangen bist? Sodass sie für Dritte nachvollziehbar sind?

WT

In meinem Kopf ja und das zeichne ich immer wieder – auch für mich – auf, the oral history. Ich hatte eine sehr gute Unterhaltung mit Sven [Schönauer] und Markus [Paul Müller] von Recom. Markus sagte, Restauratorenarbeit müsste heute eigentlich darin bestehen, die genaue Anmutung, Beschaffenheit, den Anschein und die Präsenz eines neu eingelieferten Bildes festzuhalten. Damit man auch in 30 Jahren noch Referenzen hat. Sie waren sich ihrer Sache so sicher, dass sie behaupten, alte Farbfotografien könne und brauche man nicht zu restaurieren. So sehr ich auch ihrer ersten Beobachtung zustimme, so sehr sehe das in der Schlussfolgerung nicht so.

LA

So eine Haltung ist natürlich auch gut für ihr Unternehmen.

WT

Das ist faszinierend, jeder hat da andere Prioritäten! Der Wunsch von einigen Künstler*innen, alles müsse neu gedruckt werden, hat zum Beispiel auch etwas mit den weißen Rändern zu tun. Wenn die nicht weiß sind, kann dies zu einem markttechnischen Problem werden. Bei mir spielt das Blatt aber eine völlig andere Rolle, seine physische Präsenz ist entscheidend und da ist Alterung natürlich inbegriffen. Ich habe das immer wieder beschrieben: In dem Moment, in dem das perfekte Bild aus der Entwicklungsmaschine fällt und auf dem Tisch vor einem liegt, ist klar: Von nun an geht’s bergab. Das Blatt ist perfekt, dann trag ich es rüber ins Studio und schon setzen sich Staubpartikel drauf, die sich mikroskopisch verschieben und ein bisschen in die Emulsion hineinreiben. So ist es, und so ist doch auch das Leben. Für mich ist das Blatt ein intuitives und bewusst zugelassenes Bild fürs Leben.

LA

Trotzdem gibt es auch in deinem Werk immer wieder Revisionen …

WT

Ein wichtiger Aspekt ist vielleicht noch: 1994 habe ich erstmals eine Wand als Installation verkauft – ab da auch größere Wände oder L-Formationen, bis etwa um 2000 ein 9 × 18 Meter großer kompletter Gesamtraum und seitdem immer wieder ganze Raum-Installationen verkauft wurden. Da gibt es zum Beispiel den 2017 neu zusammengestellten originalen Buchholz & Buchholz-Raum von 1993.6 Der ist jetzt im Museum Brandhorst. Hier geht es natürlich darum, die einzelnen Bilder möglichst in einem Ton zu halten. Mit diesen Räumen gehe ich entsprechend anders um, als wenn ich heute eine Installation mit Bildern aus 25 Jahren mache, bei der ich entscheiden kann, wie das aussehen soll.

LA

Das führt uns zu einer anderen Frage: Hast du eine lückenlose Dokumentation all deiner Ausstellungen und der unterschiedlichen Konstellationen der Bilder, die da zusammenkamen?

WT

Dafür hatte ich zum Glück von Anfang an ein starkes Bewusstsein. Seit der ersten Ausstellung habe ich eigentlich alles genau fotografiert und dokumentiert. Seit 1995 vermesse ich die Ausstellungen und zeichne sie genau auf Millimeterpapier im Maßstab 1:10. Seit etwa 2010 mache ich das in digitalen Plänen. Alle Ausstellungen sind komplett in einem XY-Koordinatensystem vermessen und können so jederzeit exakt wiederaufgebaut werden.

LA

Es ist ja nicht nur eine Werkdokumentation oder Ausstellungsgeschichte, die sich da abbildet, sondern auch eine Geschichte deiner spezifischen installativen Praxis. Für die spätere Forschung ist es sicher interessant zu sehen, wo und in welchen Zusammenhängen die Bilder immer wieder auftauchen und welche Allianzen für sie jeweils geschaffen wurden.

WT

Es ist eine Riesenarbeit, von jedem Motiv aus allen Ausstellungen die Provenienzen zusammenzutragen, und wenn es die Zeit dafür gibt, arbeiten im Studio da manche Assistent*innen dran. Ziel dieser Arbeit ist es, die Installationsansichten und Pläne mit den Inventarblättern für jede Arbeit, die ich seit 1993 erst handschriftlich führte, zu vernetzen. 1999 hatte ich die in ein Filemaker-Programm übertragen, das damals mein Assistent Toby Wales geschrieben hat. Darin ist jede Edition verzeichnet – wohin sie verkauft ist oder wo sie war, bis sie verkauft wurde.

LA

Sitzt da dann eine Person dran, oder wie ist das organisiert?

WT

So zwischen ein und drei Leuten. Ich blicke ja auf 30 Jahre Arbeit zurück oder wie auch immer man den Zeitraum definieren möchte. Die Arbeit, die ich als Nr. 1 ansehe (Lacanau [self]) ist aus dem Jahr 1986, das ist jetzt 35 Jahre her. Im Moment habe ich das Bedürfnis, die Dinge nochmal stark zusammenzuführen, um den ganzen Weg sichtbar zu machen. Daraus entsteht dann auch wieder etwas Neues. Ich möchte diesen Moment jetzt gerade, wo mich das nochmal so stark interessiert, maximal nutzen und all das Wissen festhalten. Vielleicht bin ich da insgesamt in einer Sonderrolle, da ich mir schon früh viele Gedanken darüber gemacht habe und eben vieles aufgezeichnet und festgehalten habe, sodass mich das jetzt nicht wie eine Bugwelle trifft. Die Arbeit mit dem Archiv ist von Anfang an zentraler Teil meiner Arbeitsweise gewesen. Das ist nicht rückwärtsgewandt gemeint, sondern entspringt dem Gedanken, dass das Jetzt ja immer Vergangenheit sein wird. Damit ist an dem Vergangenen immer auch das Jetzt zu spüren, eben das Jetzt von damals. Und da diese beiden ,Jetzt‘ in meinem einzigen Leben nur durch Zeit getrennt sind, sind sie doch in mir stark verbunden.

LA

Wir haben uns deine jüngste Einzelausstellung in der Galerie Buchholz angesehen7 und dabei den Eindruck gehabt, dass es hier unter anderem um eine Reflexion des Wechsels vom Analogen ins Digitale ging. Mit einigen Bildern probierst du, die Dinge so groß zu machen, wie es eben geht, auch mit Handyaufnahmen. Wir hatten den Eindruck, dass es hier in besonderer Weise um eine Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Techniken und ihren jeweiligen Erscheinungsformen geht.

WT

Total.

LA

In der Sound-Installation I want to make a film reflektierst du über die neuen Technologien, die du durchdringen und verstehen willst. Stürzt dich der rasante Wandel der digitalen Technologien auch in Krisen? Du bist ja nicht nur eine reflektierte, sondern auch kontrollierte Person. Die Soundarbeit hatte einen nachdenklichen Charakter. Da schwangen Momente von Entfremdung gegenüber dem Medium oder gegenüber Prozessen mit, die sich nicht mehr 100% kontrollieren lassen.

WT

Ja, aber ihr beschreibt das mit einem Ton der Melancholie, die ich so nicht empfinde. Es gibt eine totale Bejahung und Faszination für die neue Digitalfotografie, wie ich sie seit 2009 betreibe. Die ich als sehr erweiternd und befreiend empfinde, seit ich meine dreijährige Forschung darüber 2012 abgeschlossen habe. Von da ab dachte ich: Jetzt kann ich diese Sprache sprechen. Auch weil ich mir vorstellen konnte, wie viele Millionen Pixel spezifisch ausgelesen werden, um dann über Tinte in Millionen von Punkten gedruckt zu werden. Ich kann mir das auch deshalb so gut vorstellen, weil ich in dem Moment, in dem ich überhaupt angefangen habe, mich fotografisch zu interessieren, 1986, mit den frühen Laserkopien begonnen hatte. Auch die mündeten bereits in ein gescanntes, digitalisiertes, in Punkten aufgelöstes Bild. Was ich heute aber ganz anders empfinde, ist diese Entkörperlichung, die Entstofflichung von Bildern und Filmen. Wie ist es möglich, dass Millionen von Menschen gleichzeitig Netflix-Filme auf HD gucken – das sind nichts als Nullen und Einsen, die nebeneinander durch Datenkabel gehen. Insofern sind wir hier in der Runde, alle über 40, in der glücklichen Situation, unsere digitalen Urerlebnisse bereits hinter uns zu haben und Stories darüber erzählen zu können. Wie meine Schwester 1987 über ihren ersten PC noch stolz sagen konnte: Der hat 20 MB Festplatte. Ende der 90er, als wir die Modems zirpen hörten, hatten wir noch eine Vorstellung von Datenfluss. Deshalb habe ich eine irrsinnige Ehrfurcht vor dem, was da gerade passiert – wenn da so ein kristallklares Bild vor dir auftaucht und man drei Stunden kostenlos facetimen kann. Diejenigen, die da reingeboren sind, haben natürlich ein völlig anderes oder gar kein Bewusstsein davon, was das eigentlich bedeutet, wenn in dieser Hochfrequenz permanent Daten übertragen werden. An dieser Stelle kann man dann auch über Archive reden. Wie in meinem Song Device Control, in dem es die Zeile gibt: „live stream your life“. Wenn alle ihr Leben live streamen, wer hat dann noch Zeit, sich das anzusehen, das Leben der anderen – und wie kann man das noch aufbewahren? Wer denkt darüber nach, was damit passieren soll? Was bedeutet das für Serverfarmen mit immensen Elektrizitätsrechnungen? Da muss ich mich natürlich auch fragen: Habe ich das Recht, dass meine Bilder aufbewahrt werden? Will ich diese absolute Demokratisierung der Fotografie überhaupt kritisieren? Wer hat ein Recht auf was? Es ist schon unglaublich, dass unser Medium heute so im Zentrum der Menschheitskultur steht. Ich meine, ich hätte auch Querflöte studieren können. Wir sind heute wirklich genau an dem Punkt, wo mit dem Medium eine neue Sprache aufgekommen ist.

LA

Wenn wir die Fotografie im Sinne einer Sprache auffassen, mit der wir im Jetzt kommunizieren, dann geht es doch um den Moment, um den Augenblick, in dem das passiert. Widerspricht das nicht der Archividee des Bewahrens? Gleichzeitig ist hier eine interessante Paradoxie am Werk, wenn wir uns einerseits von den Medien entfremdet fühlen – im Sinne eines Verständnisses, wie sie funktionieren – und sie andererseits wie eine vertraute Sprache ganz selbstverständlich benutzen. Wolfgang Ullrich plädiert in seiner von ihm herausgegebenen Buchreihe über digitale Bildkulturen für eine Bildwissenschaft, die mit der Sprachwissenschaft vergleichbar ist.8 Er identifiziert das Aufkommen der neuen digitalen Bildkulturen als einen kulturhistorisch bedeutsamen Moment, den es wie eine Sprache zu entziffern gilt.

WT

Ich habe oft bemerkt, dass gar keine wirkliche Sprache über Fotografie existiert. Ich habe immer genau beobachtet, wie meine Bilder beschrieben werden. Und wahrscheinlich gibt es Maler*innen, die auch denken, dass diese ganzen Essays zum Beispiel nie die Essenz ihrer Farbbehandlung erkannt haben. Da gibt es einen enormen Nachholbedarf, allein schon, um zu beschreiben, wie sich Fotografie anfühlt. Wie kommt es, dass wir eine Aufnahme von Nan Goldin sofort erkennen können?

LA

Nun ja, es wird ständig darüber gesprochen, wie die digitale Bildkultur uns alle prägt und Sprache zu ersetzen beginnt. Dabei wird aber vergessen, dass es fotografische Bilder sind, über die wir immer noch nicht zu sprechen gelernt haben. Warum wir Nan Goldin als Nan Goldin erkennen, kommt ja in diesem Modell nicht vor. Es geht immer nur darum festzustellen, dass das Medium inflationär genutzt wird und was das gesellschaftlich bedeutet. Worum es weniger geht, ist, wie die fotografischen Werkzeuge eingesetzt werden.

WT

Man nutzt das Medium, aber weiß nicht so recht, was es ist. Das funktioniert anders als etwa der Linol- oder der Buchdruck oder die Schwarz-Weiß-Dunkelkammer, deren Handhabung sich Millionen junger Menschen noch erarbeitet haben. Die Perfektion des heutigen Handyfotos stellt eine Entfremdung dar, der sich die Leute gar nicht bewusst sind – ihr Gehirn weiß garantiert nicht, was das eigentlich ist und woher es kommt. Es ist irrsinnig wirkmächtig, aber es gibt keine Verbindung mehr zu einem selbst. Da bin ich manchmal dann doch ein bisschen kulturpessimistisch.

LA

Im Hinblick auf Wolfgang Ullrichs Plädoyer – so wichtig es sein mag – kann man sagen: Da setzt sich die Geschichte der Fotografie fort, ohne dass die Fotograf*innen wirklich wichtig sind, oder die Künstler*innen, die mit dem Medium arbeiten. Vielmehr sind es die Amateur*innen, die die Fotogeschichte fortschreiben. Die Expertise oder die Auseinandersetzung mit dem Bild findet in dieser Reflexion keinen Platz. Dadurch ergibt sich auch so ein Mangel – oder er wird erneut sichtbar.

WT

Das ist auch die Scheu von Menschen, ihr Unwissen und ihr Unvermögen, etwas in Worte zu fassen, zuzugeben. So werden Bücher geschrieben, die letztlich an der Sache vorbeigehen. Vielleicht ist es nicht so wichtig, die Algorithmen in einem Samsung Galaxy mit denen in einem iPhone zu vergleichen oder zu versuchen nachzuvollziehen, was da in den letzten fünf Jahren an Entwicklung passiert ist. Aber mich fasziniert das. 2004 habe ich mir eine Leica-Digitalkamera mit 6 Megapixeln gekauft. Nach zwei Wochen habe ich sie wieder weggelegt, weil die Bilder flach und synthetisch aussahen. Fünf Jahre später, als die Canon 5D auf den Markt kam, die, glaube ich, eine kleine kulturelle Zeitenwende darstellt, habe ich dann gemerkt: Das ist eine Sprache, die will ich lernen zu sprechen. Die Kamera ist portabel, nicht mehr so schwer wie ein Ziegelstein und hat mehr Pixel als der Kleinbildfilm Körner hat. Übrigens hat sich dann in den darauffolgenden Jahren in dieser Kamerareihe und bei anderen Herstellern zeitgleich eine rapide Entwicklung der Bildqualität bei dunkler Beleuchtungslage ergeben. Ich habe immer gedacht, das Material, also die Sensoren, sei physisch anders und besser geworden. Bis mich Kameraentwickler bei Sony in Tokio, die ich treffen durfte, aufklärten: Da hat sich gar nichts verändert, der eigentliche Chip hat die gleiche Lichtempfindlichkeit. Das einzige, was sich geändert hat, ist die Rechenpower an genau dieser Marginallinie von „Ist das noch Information?“ oder „Ist das nur Geräusch?“ Die Rauschunterdrückung ist immer intelligenter geworden und holt aus demselben ,Rohstoff‘ Sensorchip mehr Information raus. Das eigentlich Unglaubliche ist aber, dass die Entwicklung dieser perfekten Spiegelreflexkamera innerhalb von nur fünf Jahren in das Handy einging, sodass man jetzt einen 4K–Film mit dem Handy drehen kann, den man im Kino zeigen könnte. Und alles nur, weil die Rechenleistung immer schneller wird.

LA

Unser erstes Gespräch haben wir mit der Künstlerin Beate Gütschow geführt, die du wahrscheinlich auch kennst. Sie meinte im Hinblick auf ein Institut für Fotografie – und das war erstaunlich, weil wir noch nicht darüber nachgedacht hatten –, dass sich in einem solchen Institut auch die Technikgeschichte des Mediums abbilden sollte.

WT

Unbedingt!

LA

Ihr Argument war, dass man bestimmte Phänomene sonst gar nicht mehr vermitteln könne. Formate wie Instagram müssten hier konserviert werden – um überhaupt davon erzählen zu können, was das ist oder in nicht ferner Zukunft mal gewesen sein wird. Anderes Beispiel: Sie versucht, die Technik des Lambda-Prints an ihrer Hochschule zu erhalten, weil sie der Auffassung ist, dass sie einen wichtigen Entwicklungsschritt im Übergang zum Digitalen markiert. Darüber ist in den Konzeptpapieren erstmal nichts zu lesen.

WT

Es fehlt einfach an einer Sprache. Die könnte man sich zum Beispiel über die Veranschaulichung von Technik erarbeiten, indem man etwa beschreibt, wie ein Imacon-Scan gegenüber einem Trommelscan aussieht oder eine Digitalkamera von 2004, bei der die Hauttöne einfach als Flächen erscheinen. Es liegt eine Menge Material in den Archiven, das die Archivar*innen sichern sollen, aber sie wissen womöglich gar nicht, warum die Materialien so aussehen, wie sie aussehen. Das lässt sich in der Fotogeschichte bis Ende der 1990er, bis zum Ende des analogen Gebrauchs, aber klar formulieren. Farbfotografie galt natürlich lange Zeit nicht als Kunst und wurde deshalb auch nicht groß beschrieben. Da gibt es immer noch einigen Nachholbedarf. Und jetzt, was ist da eigentlich passiert? Die Frage, was sich mit den digitalen Technologien verändert hat, stellt sich ja bereits, wenn etwa Arbeiten aus den 1960er-, 1970er-Jahren neu aufgelegt werden. Zuletzt habe ich Drucke von neu aufgelegten Farbportfolios von Joel Meyerowitz gesehen, viel größer als sie ursprünglich abgezogen waren. Da ist eine unheimliche Veränderung im Gange, die betrifft vor allem den Eindruck dieser Bilder. In dieser Frage würde ich Beate [Gütschow] leidenschaftlich unterstützen. Und wiederum Markus von Recom zitieren, der sagt: Eigentlich besteht die Arbeit der Restaurator*innen genau darin, die technische Beschaffenheit in der Jetztzeit zu beschreiben, um eine möglichst genaue Aufzeichnung darüber zu erhalten, was in dem Augenblick technisch los war, als die Arbeit entstanden ist. Wir, die wir vom Medium selbst kommen, sollten daran interessiert sein zu dokumentieren, wie der technische Wandel sich vollzogen hat und welche Auswirkungen das auf unser Medium hat. Und das entgeht natürlich ganz vielen Leuten, die das gar nicht sehen.

LA

Es gibt ja auch bis heute noch keine Fotografiewissenschaft oder so was. Es gibt eine Filmwissenschaft, es gibt eine Literaturwissenschaft, eine Sprachwissenschaft.

WT

Es gibt lediglich Fotorestauration als Unterabteilung von Restaurierung.

LA

Nochmal eine andere Frage, zum Archiv. Ein Archiv lebt ja, spätestens dann, wenn es öffentlich wird, von Zugänglichkeit. Das läuft in der Regel über Verschlagwortungen. Wie hältst du es da? Viele deiner Bilder tauchen in unterschiedlichen Ausstellungszusammenhängen, Konstellationen, Installationen auf. Darüber hinaus haben die meisten deiner Bilder auch Titel, die dabei helfen, sie zu finden. Wie navigierst du selbst durch dein Archiv? Wie ist dein Archiv organisiert, also das reine Bilderarchiv? Hast du eine Verschlagwortung?

WT

Wie ich schon erwähnte, habe ich 1993 angefangen, alle meine Werke in ein Formblatt aufzunehmen, und dann 1999 eine Filemaker-Datenbank etabliert. Die hat zwei Verschlagwortungsfelder, in denen man gegenseitig und überkreuz suchen kann. Du kannst etwa als erste Kategorie Portrait und Nightlife als zweite eingeben.

LA

Ah, okay, und dann finden sich alle Portraits, die im Nachtleben gemacht wurden.

WT

Kennt ihr das Tate-Britain-Buch if one thing matters, everything matters?9 Hinten auf dem Rückcover ist dieses Diagramm abgebildet, in dem die ganzen verschiedenen Bildtypen als Gruppen in einer Art Mindmap miteinander verbunden sind. In den Ausstellungen sind Kategorisierungen nicht ablesbar, auch, weil ich nicht seriell arbeite. Damit ich das aber überhaupt so frei machen kann, gibt es ein darunter liegendes klares System von Kategorien.

LA

Nehmen wir das Cover von if one thing matters, everything matters, es zeigt einen Schlüsselbund, oder? Was ist das Schlagwort dazu?

WT

Still Life. Ich habe nur fünf erste Kategorien: Portrait, Still Life, Landscape, Abstract und Other. Dann gibt es die zweite Ebene mit zum Beispiel Portrait, also Portrait Portrait. Ganz einfach Portrait heißt alles, wo Menschen drauf sind. Die trennen sich dann in Portraits, Friends & Family, Nightlife oder Crowd/Strangers. Still Life ist insofern weitgefasst, dass darunter Interieur und alles fällt, was sich innen befindet, und auch alles, was sich außen befindet, solange es nah ist. Sobald der Winkel sich weitet, wird es zu Landscape. Sind in einer Landschaft Leute zu sehen, wird es zu Crowd/Strangers. So kann ich mit fünf Hauptkategorien alles abdecken.

LA

Architecture?

WT

Architecture wird in Lightroom besonders behandelt, dem Programm, wo alle, also jedes Bild, das ich je gemacht habe, verwaltet wird. Da gibt es zu Architecture circa 20 Subkategorien, seit ich 2014 am Book for Architects gearbeitet habe. Im Filemaker wäre dieser Raum hier, in dem wir sitzen, Interieur. Stadtansichten hingegen sind Landscape. Astronomie ist Landscape. Tiere sind interessanterweise Still Life (lacht).

LA

Es bestätigt sich mit jede*r Gesprächspartner*in, dass jede*r eine eigene Logik im System hat.

WT

Ein extremer Umschwung in Hinblick auf Verschlagwortungen war seit 2011 die Benutzung von Lightroom. Außerdem sind alle digitalen Bilder natürlich nach Datum indexiert. Ich kann etwa sofort sehen, was ich am 18. August 2012 fotografiert habe.

LA

Und zwar alles, nicht nur das, was Werkstatus hat, oder?

WT

Genau, das eben beschriebene System der Verschlagwortungen im Filemaker-Programm betrifft Arbeiten, die in irgendeiner Form ausgestellt worden sind. Darüber hinaus sind in Lightroom alle analogen Negative als auch die digitalen Bilder chronologisch nach Datum sortiert, die Negative jeweils nach Filmnummer. Die beginnt Anfang Januar mit 1 und reicht bis zu der Anzahl der Filme, die ich in dem Jahr belichtet habe. In den 1990er Jahren waren das in der Regel 100 bis 250 pro Jahr. Außerdem kann man mit dem Programm Collections erstellen, von denen es inzwischen über hundert gibt. Eine der größten Collections ist „Sittings“ – Porträtsitzungen –, aber auch alles mögliche andere. Das mache ich natürlich nicht, um es anderen Leuten zur Verfügung zu stellen. Es ist auch nicht dafür gedacht, dass man es nutzt, um etwa alle Tiere zu finden, die ich jemals fotografiert habe. Eigentlich ist es genau das, was Bilddatenbanken machen, diese Form des „Search“. Aber durch diesen Umgang sind für mich seit 2011 Dinge möglich geworden, die vorher einfach nicht gingen. Mich interessieren Kategorien, aber bis dahin musste ich mir immer alles einzeln zusammensuchen. 1999 etwa habe ich das kleine Künstlerbuch Totale Sonnenfinsternis10 gemacht und dafür aus Umschlägen aus vielen Jahren mühsam astronomische Bilder zusammengesucht. Das Buch The Cars von 201511 über Autos war dagegen nur möglich, weil einfach alle Bilder, wo irgendwie ein Auto vorkommt, unter Cars abgelegt sind. Dies hört sich jetzt so einfach an, ist aber ein System relevanter Schlagworte, was ich in viel Detailarbeit und konzeptuellen Überlegungen mit Carmen Brunner 2009 begonnen habe, und was dann von Jonas Raam und heute, schon seit mehreren Jahren, von Federico Gargaglione gepflegt und weitergeführt wird.

LA

Stichwort kleines Künstlerbuch. Wie ist das mit den ganzen Ephemera? Sammelst du die auch? Also Künstlerbücher sind natürlich keine Ephemera, sondern im besten Fall eigene Werke. Aber Korrespondenz, Einladungskarten, Poster. Wie hältst du’s damit?

WT

Meine Arbeit und mein Leben sind mit bestimmten Sammlungsaktivitäten verbunden. Obwohl ich alles tue und darauf richte, um das Hier und Jetzt zu beschreiben – inszeniert oder vorgefunden –, traue ich mir zu, dass ich mich zugleich um die Vergangenheit kümmern kann, ohne dass mein Bewusstsein für das Hier und Jetzt leidet. Ich werfe zum Beispiel niemals Schriftstücke weg. Für Korrespondenzen, früher auch Faxe, gibt es an meinem Schreibtisch einen Karton, den sogenannten „File dead“, Ablage tot. Alle meine Assistent*innen haben an ihren Tischen File-dead-Kisten. Es gibt keine Papierkörbe. Ein Post-It wird nicht zusammengeknüllt und weggeworfen, sondern einfach in das File dead geworfen. So entsteht eine Art archäologischer Aufschichtung. In einem Jahr nimmt das kombinierte File dead des Studios circa unter einen Kubikmeter ein, was nicht wirklich sehr viel ist. Die digitalen Spuren werden sich leider zum Teil verwischen, ich habe zum Beispiel keine E-Mails mehr von vor 2002. Die fangen bei mir erst 2003 an. So habe ich ein starkes Bewusstsein für die Papierspur, den paper trail. Ich denke, dass meine spezifische Position zwischen England, Amerika, Deutschland und anderen Ländern mit den weit gefächerten Kontakten, die bei mir reinkommen, eine kulturgeschichtlich seltene Konstellation ermöglicht hat. Ob da jetzt die LGBT-Bewegung reinkommt oder die amerikanische Vogue oder ein japanisches Museum – es ist einfach eine Mischung, die es nicht so oft gibt. Deshalb habe ich mir gesagt, komm, mach das einfach, heb das mal auf. Die Ephemera, die ich selber verursache, die sammle ich natürlich auch. Von jedem Druckwerk, das ich jemals gemacht habe oder an dem ich beteiligt war, gibt es im Archiv ein Belegexemplar. Die nennen sich dann Belege. Dann gibt es noch die Extras, Extrakopien.

LA

Das heißt, du bist eigentlich der perfekte Kandidat für ein Getty Research Institute in Germany, es ist alles da und zusammengehalten Wenn man sich nun vorstellt, es gäbe ein Institut für Fotografie in Deutschland, würdest du dich dann in so einem Kontext sehen? Die Frage stellt sich auch deshalb, weil es für viele Künstler*innen, die fotografisch arbeiten, auch einen nicht unerheblichen Teil der Arbeit bedeutet, klarzustellen, wo die Arbeit hingehört, in welchen Kontexten sie gelesen werden sollte. Siehst du dich in einem Institut, das sich nur um die Belange der Fotografie kümmert, wo man also eventuell davon ausgehen muss, dass durchaus auch das Werk eines Sportreporters oder anderer gewerblicher Fotograf*innen Eingang finden? Darüber hinaus stellt sich auch die Frage, wo man sich eigentlich mit seinem Werk beheimatet fühlt. Ist das jetzt hier in Deutschland oder sind da für dich vielleicht ganz andere Orte interessant?

WT

In dem Papier der Düsseldorfer Initiative war mir das Wort „deutsch“ erheblich zu oft genannt.12 Muss das sein? Der Name Getty steht zwar eindeutig für einen amerikanischen Milliardär, aber beim Getty Institute denkt man vor allem an Weltkultur. Ich finde es unnötig, so stark auf das Deutsche zu setzen – in einer EU aus 23 Ländern, in denen die meisten betroffenen Fotograf*innen wahrscheinlich doch eher paneuropäisch denken. Aus heutiger Sicht habe ich immer noch den größten Teil meines aktiven Arbeitslebens in London, dem Vereinigten Königreich, verbracht. Ich fühle mich nicht als Brite, aber ich bin ganz sicher immer noch Londoner.

LA

Monika Grütters hat klar gesagt, dass es mit der Gründung eines Fotoinstituts um den Erhalt des visuellen Erbes unserer Nation geht.

WT

Es geht ja auch um die Finanzierung. Und wenn es mit Bundesmitteln finanziert wird, dann muss das legitimiert werden.

LA

Umgekehrt wird die Frage nach den in Deutschland lebenden internationalen Fotokünstler*innen in dem Konzeptpapier auf jeden Fall angesprochen.

WT

Das ist auch gut so. „Lives and works in“ ist das Entscheidende. Ich war 2000 auch der erste nicht in Großbritannien geborene Künstler, der den Turner Prize for British Art erhielt. Aber um auf die Frage der Archive zurückzukommen, denke ich, dass wenn Fotografien aus einer intensiven Beschäftigung mit einem ähnlichen Sujet entstehen, es interessant ist, sie zusammenzuhalten, aus was für Gründen auch immer. Natürlich stellt sich die Frage, ob es sinnvoll ist, alle diese Spezialarchive an einem Ort zusammenzubringen. Vielleicht gibt es andere Orte, an denen etwa ein LGBTQ*-Archiv besser aufgehoben ist, oder ein regionales Archiv in der entsprechenden Region oder ein Industriearchiv dort, wo die Industrie angesiedelt ist. Eine Kulturlandschaft, die mit sich überlappenden Kulturen so durchtränkt ist wie die europäische, kann man eigentlich gar nicht zentralisieren. Insofern plädiere ich einerseits dafür, mit einem Institut die Fotografie beschreibbarer zu machen, und andererseits all das, was es in unserem reichen Kulturraum, Deutschland, Europa et cetera, bereits gibt, miteinander zu vernetzen. Das könnte wirklich kraftvoll sein. Nur ein Archiv zu retten, das reicht nicht aus, auch weil wir immer an Mittel und Möglichkeiten denken müssen. Ich war. fünf Jahre als Künstler im Aufsichtsrat der Tate, davon vier Jahre im Collection Committee. Da wurden immer wieder Nachlässe angeboten. Es ging dann darum zu klären, ob es überhaupt verantwortbar ist, die anzunehmen, um sie irgendwo in einem Bergwerksstollen abzulegen. Ein Institut muss vernetzt sein, es muss dezentral agieren, das ist das Entscheidende. Zugleich muss es einen spezifischen Ort haben, also auch zentral sein. Was dieses Institut braucht, sind Lagerhallen! Was es nicht braucht, ist eine repräsentative Galerie im Düsseldorfer Museumsquartier.

LA

Tatsächlich kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Düsseldorfer Initiative mit der Idee nach repräsentativen Ausstellungsräumen speziell auch ihre Rezeptionsgeschichte forcieren will.

WT

Düsseldorf geht es nicht um ein bisschen Rezeptionsgeschichte, sondern um Welt-Foto-Kunstgeschichte. Größer geht es nicht. Wenn du 1000 Worte über die Welt-Foto-Kunstgeschichte schreibst, dann muss das Wort Düsseldorf vorkommen.

LA

Okay, nochmal zurück zum Museum. Bei der Idee des Fotoinstitutes geht es doch darum, jenes Material aufzunehmen, das aus den Gründen, die du gerade genannt hast – dass es nämlich in irgendwelchen Stollen verschwindet, weil die Museen nicht die Kapazitäten haben –, in ein eigens errichtetes Institut kommt, sodass man dann umfangreich zu einem Werk recherchieren kann – und zwar jenseits der fünf bedeutenden Werkserien, die sich im Museum befinden. Also ein Institut als Forschungseinrichtung, nicht als Museum. Anhand dieser Frage werden die Konfliktlinien zwischen den unterschiedlichen Initiativen auch deutlich.

WT

Ich finde, das Ausstellen ist für ein solches Institut nicht vorrangig. Ausstellen kann man ja immer in all den tollen Orten, die die deutsche Kulturlandschaft ausmachen.

LA

Vielleicht muss man sich angesichts der Wiedervereinigung vor 30 Jahren auch mal darüber bewusst werden, was das für ein Signal wäre, würde Düsseldorf zum Sitz des Instituts. Dies würde den Blick ein bisschen sehr auf Altbekanntes richten. Die deutsche Fotografiegeschichte ist größer als Düsseldorf.

WT

Das kann man so nicht sagen. Für die Fotografie ist das Rheinland zentral. Renger-Patzsch, Sander, Agfa. Warum Leipzig, warum Hamburg, warum Dresden? Dass das Institut in NRW sein soll, finde ich absolut angemessen. Aber klar ist auch: Es gibt Fragen zu klären, die die technischen Aspekte der Fotografie und ihre Entwicklungen betreffen, denen sich ein Institut annehmen sollte. Außerdem gibt es Nachlässe zu sichern, Stichwort Familienalben et cetera. Die sind viel bedrohter als der Nachlass von bekannten Künstler*innen. Wer aber kümmert sich um das Fetisch-Archiv von Elmar Batters? Von Instagram bis zum Fetisch-Foto-Sammler: Das ist die Kulturgeschichte der Fotografie, und die muss bewahrt und dokumentiert werden. Deshalb sind Düsseldorf und Essen gute Optionen. Ich würde fast dafür plädieren, dass es beide Orte geben muss.

LA

In Düsseldorf und Essen leben Künstler*innen, die ihre Vorlässe sicher in einem sehr gut aufbereiteten Zustand übergeben können. Das ist über den regionalen Bezug hinaus ein guter Grund, um sie aufzunehmen und ihnen den Vorzug gegenüber anderen zu geben. Wie aber kann gewährleistet werden, dass in die Breite gedacht und aufgenommen wird?

WT

Ich finde, die Frage, was reinkommt in das Institut und was nicht, ist eine Frage, die sich jedes Museum stellt.

LA

Ein Museum hat eine*n Direktor*in mit Sammlungsschwerpunkten und Entscheidungsmacht.

WT

Darin bildet sich eben auch eine Form der Zeitgeschichte ab. Es ist doch ein generelles Ding: Wer wird gesammelt, wer wird vergessen und so weiter? Das ist ein Prozess, der immer wieder neu gedacht werden muss. Heute ist es dringlicher denn je geworden, das aus verschiedenen Perspektiven neu zu denken. Aber das kann die Diskussion nicht allein bestimmen. Denn die Riesengeschichte ist doch, dass es überhaupt jetzt diese Initiativen erstmals gibt, dass man überhaupt in Aussicht nimmt, ein Institut zu gründen! Es ist ein Riesenfortschritt, dass ein Staat Millionen von Euros dafür bereitstellt – da sehe ich vor allem große Chancen. Richtigerweise wird darauf geachtet werden, dass man nicht nur weiße Männer aufnimmt. Es geht um die Bewahrung der Erinnerung und das ist per se eine inklusive Geschichte. Ansonsten wird nur wieder das bewahrt, was teuer ist. Das Bewahren auf eine öffentliche Ebene zu stellen und damit eine Form der Erinnerungskultur zu schaffen, sehe ich als den einzigen Weg. Nur dann ist es von Privatinteressen befreit. Da bin ich sehr hoffnungsvoll.

LA

Also first things first.

WT

Ja, denn es kommen garantiert alle rein. Francesca Woodman kriegt heute im C/O eine große Ausstellung. Sie war vor 25 Jahren eine Entdeckung, die vielleicht vier Seiten in Artforum bekommen hat – und heute ist ihr Werk einfach da. Insgesamt ist die ganze Stimmung zum Thema Fotografie als Medium und Kunst doch viel entspannter geworden. Fotografie hat gewonnen, in the big picture. Da braucht man gar nicht drum herum zu reden. Es ist einfach so. Dieser Erfolg ist manchen ein Dorn im Auge, und deshalb ist es wichtig, das jetzt zu institutionalisieren.

LA

Okay, in der Frage der Inklusion und Diversität siehst du zum jetzigen Zeitpunkt nicht das Thema. Aber Formen der Vernetzung und eine Versprachlichung des Mediums sind die für dich zentralen Themen.

WT

Ja, die Sprache, aus den unterschiedlichsten Richtungen. Wie sich das Bildobjekt anfühlt, wie es aussieht, was es besonders macht. Aber auch: Wie kann man um das Medium herum forschen und die Missstände der fehlenden Sprache herausarbeiten? Das sind ganz, ganz wichtige Dinge. Denn hinter dem Blatt Papier stehen eben immer auch eine ganze Reihe von technischen und materiellen Parametern, mit denen Fotografie besprechbar wird. Für mich ist die Frage nach dem, was ich tun will, immer geprägt von der Frage, was fehlt. Und was fehlt, ist tatsächlich eine Sprache über das Medium – und die Vernetzung. Wir haben es ja mit einem magischen Medium zu tun und unsere Unfähigkeit, über diese Magie zu sprechen, ist immer noch recht groß.
Wir wollen wissen, was da genau passiert, denn die Weichen, die in diesem Moment gestellt werden, werden weitreichende Auswirkungen haben – und später haben wir vielleicht nicht mehr die Setzungshoheit.